Das orthodoxe Kirchenjahr

Das orthodoxe Kirchenjahr

Das orthodoxe Kirchenjahr besteht aus einem Doppelkranz von Festen, von denen der erste Festkreis mit der Vorfastenzeit beginnt und in Ostern gipfelt – das ist der Kranz des Sonnenjahres –, und der andere Festkreis – der Kranz des Mondjahres – aus den datumsgebundenen Einzelfesten sich zusammensetzt und am 01. September anfangt.

 

Da jeder Tag ist grundsätzlich in jeden der beiden Festkreisen einbezogen. Wie die beiden Festkreise miteinander verflochten sind, macht die unverwechselbare Eigenart eines Jahres aus. Die liturgischen Texte des Osterfestkreises werden für die Vorfastenzeit, die Fastenzeit und die Heilige und Hohe Woche (Karwoche) aus dem Triodion (auch Fasten-Triod genannt) entnommen.

 

 

 

Von der Osternacht bis zum Allerheiligenfest am Sonntag nach Pfingsten werden die Texte dem Pentekostarion (Blumen-Triod) entnommen. Danach finden sich die benötigten Wechsel-Texte für die Sonntage und die Wochentage im Oktoich (dem Acht-Töne-Buch).

 

 

 

Für die datumsgebundenen Feste sind die Menaen (Monatsbücher) zuständig. Eine auszugsweise Sammlung der Menaen, angefangen mit dem September (orthodoxer Jahresbeginn), bringt das Menologion.

 

 

 

Was die Zuordnung und Auswahl der Texte aus beiden Festkreisen für einen bestimmten Tag betrifft, so gibt es feste Regeln, die allerdings bei den Slawen etwas anders sind als bei den Griechen.

 

 

 

Da das Osterfest nicht immer auf dasselbe Datum fällt, ist die Zuordnung des Osterfestkreises und des Heiligenfestkreises in jedem Jahr anders. Darum ist es nötig, dass für jedes Jahr ein eigener Kalender herausgegeben wird.

 

 

 

Fragt man nach der Gliederung im Kirchenjahr, so muss man zunächst festhalten, dass aufs Ganze gesehen der Sonnenfestkreis dem Mondfestkreis vorgeordnet ist, so wie Christus Selbst, die Sonne der Gerechtigkeit, den Heiligen, die Sein Licht reflektieren, vorangeht. Das bedeutet im einzelnen: Von der Vorfastenzeit an regiert der Sonnenfestkreis, da von nun an die Gläubigen auf Ostern ausgerichtet sind und sich immer mehr dem Mysterium von Kreuz und Auferstehung Christi nähern, zunächst durch ein Wachsen in Sündenerkenntnis und Reue. Nur das Fest der Verkündigung an die Allheilige Gottesgebärerin am 25. Marz ragt aus dem Mondfestkreis in den österlichen Sonnenfestkreis herüber. Die Basilius-Liturgie am Heiligen und Hohen Sabbat ist der Beginn des Osterfestes, denn in dem "Kleine Auferstehung" genannten Gottesdienst verkündet die orthodoxe Kirche erstmals den  Sieg Christi. Das Osterdest mit der nächtlichen Auferstehungsfeier bildet das Herzstück des Kirchenjahres.

 

In der folgenden österlichen Festzeit wird diese Botschaft dann immer wieder erneut verkündet Auch die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten, die 50-tägige Festzeit der Pentekoste, die bis zum Fest der Allheiligen Dreieinheit, das der Herabkunft des Heiligen Geistes auf die versammelten hl. Jünger gedenkt, wird vom Sonnenfestkreis beherrscht.

 

 

 

Bis zum Tag vor Himmelfahrt dauert die  österliche Festzeit, in der die persönliche Aneignung der Auferstehungswahrheit im Mittelpunkt unseres Glaubenslebens steht. Deshalb singen wir auch an Stelle des Troparions „Himmlischer König“ in dieser Zeit das Ostertroparion „Christus ist erstanden von den Toten“.

Von Himmelfahrt bis Pfingsten bereitet sich die Kirche dann auf die Feier der Ausgießung des Heiligen Geistes und die damit verbundene volle Offenbarung der Dreieinheit Gottes vor. In dieser Zeit singen wir nicht mehr das Ostertoparion und auch noch nicht das Troparion auf den Heiligen Geist: „Himmlischer König“, dass wir erst mit der Vecernija (Vesper) am Vorabend des Pfingstfestes erstmals erneut singen.

 

 

 

Die ganze Zeit zwischen Ostern und Pfingsten ist mit den Texten des orthodoxen Osterjubel im Blumen-Triod eine Zeit des Wachsens im Glauben und in der Gotteserkenntnis. Nach Pfingsten folgt dann eine Zeit der Heiligung und des Wachsens im Heiligen Geiste; jetzt geht gleichsam die Führung im Kirchenjahr wieder an das Mondjahr über: die Heiligengedächtnisse prägen diese Zeit und erinnern an die Vergöttlichung (Theosis), zu der jeder einzelne Gläubige berufen ist.

 

 

 

Nur noch die Feier der Sonntage spiegeln in seinem Acht-Wochen-Zyklus den Ostertag und die Feier der Auferstehung des Herrn wieder.

 

 

 

Die wichtigsten Feste nach Pfingsten sind: am 24. Juni die Geburt des hl. Johannes des Taufers, am 29. Juni das Gedächtnis der hl. Apostelfürsten Petrus und Paulus, am 20. Juli das Fest des hl. Propheten Elia, am 01. August die sommerliche Kreuzesverehrung und das Gedächtnis der hl. Makkabäischen Bruder, am 06. August das Hochfest der Verwandlung (Verklärung) Christi, am 15. August Uspenije (Koimesis), das Fest der Entschlafung der Allheiligen Gottesgebärerin und am 29. August die Enthauptung des hl. Johannes des Täufers.

 

 

 

Am ersten September beginnt dann das neue orthodoxe Kirchenjahr (nicht wie in der westlichen Tradition mit dem Beginn der Weihnachtsfastenzeit (Advent)). Am 08. September wird die Geburt der Allheiligen Gottesgebärerin gefeiert.

 

 

 

Das Hochfest der Kreuzerhöhung am 14. September ist erneut eine liturgische Zeitenwende im orthodoxen Kirchenjahr.  Hier wird die nachpfingstliche Zeit der Erfüllung erneut zur vorösterlichen Zeit der Erwartung. Zunächst ist es allerdings die Erwartung der Geburt und Erscheinung (Theophanie) Christi, die innerhalb des Mondjahres stehen. Bereits die Feier der Geburt der Allheiligen Gottesgebärerin war eine erste Hinführung zu das Mysterium des kommenden Christi-Geburtsd-Festes. Die Vertiefung der Erwartung erfolgt durch das Hochfest der Einführung der Allheiligen Gottesgebärerin in den Tempel und dann durch die vorweihnachtliche Fastenzeit mit den beiden großen Gedächtnis-Sonntagen: dem Herrntag der hl. Gottesahnen und dem Herrntag der hl. Väter, die beide bereits zum eigentlichen Weihnachtsfestkreis gehören.

 

 

 

Außer dem Fest der Geburt unseres Herrn und Erlösers Jesus Christi dem Fleische am 25. Dezember und dem Fest der Theophanie, das der Erscheinung Christi als Sohn Gottes bei Seiner Taufe im Jordan am 6. Januar gedenkt, (dem Höhepunkt des Mondjahres), bestimmt die eigentliche Weihnachtszeit eine Reihe weiterer Feste: am 26. Dezember das Mitfest der Allheiligen Gottesgebärerin, am 27. Dezember das Gedächtnis des ersten christlichen Märtyrers des hl. Stephanus, am 29. Dezember das Gedächtnis an das Martyrium der unschuldigen hl. Kinder von Bethlehem, am 01. Januar das Fest der Beschneidung des Herrn und das Gedächtnis des hl. Basilius des Großen, am 07. Januar das Mitfest des hl. Johannes des Taufers, am 02. Februar das Fest der Begegnung (Hypapante) des Herrn mit den Heiligen Simeon und Anna im Tempel.

 

Von da an beginnt schon wieder die Vorfastenzeit, die durch ihre liturgischen Texte die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf Kreuz und Auferstehung des Herrn auszurichten.

 

 

 

Überschaut man das orthodoxe Kirchenjahr als Ganzes, so fällt zunächst auf, dass die beiden Jahresfestkreise einander zugeordnet sind wie die beiden Naturen in Christus: ungetrennt und ungeschieden, unvermischt und unverwandelt, wobei das Sonnenjahr der göttlichen Natur und das Mondjahr der menschlichen Natur in Christus entspricht.

 

Die Feste im orthodoxen Kirchenjahr deuten darauf hin, dass der innere Wachstumsprozess eines Gläubigen ohne Unterbrechung immer intensiver stattfinden soll. Denn der, der sich auf das Mitgehen mit der Kirche durch das orthodoxe Kirchenjahr einläßt, der den Wechsel der Feste und Fastenzeiten mit in sein Leben integriert und der vor allem regelmäßig an der Vecernija (Vesper) und Utrenija (Morgengottesdienst) der Kirche teilnimmt und dort die Gebetstexte, die uns auf die Fasten- und Festzeiten einstimmen hört, der sich also auf ein von der Beachtung der Regeln des  orthodoxen Glauben geprägtes Leben mit dem orthodoxen Kirchenjahr einlasst und es mit der Kirche in Gebet, in Fasten und in den Feiern mitvollzieht, der erfährt bald, dass er ganz natürlich und selbstverständlich mit hineingenommen wird in ein immer tieferes Verständnis der in Christus zu unserem Heil gewirkten Erlösung, das unsere orthodoxe Kirche vor unseren geistlichen Augen durch die Feste des Kirchenjahres ausbreitet.

 

Priester Thomas Zmija