Die Welt aus Orthodoxer Perspektive betrachten
In den Ländern Süd- und Osteuropas ist die Orthodoxe Kirche öffentlich anerkannt, kulturell tief verwurzelt und allgegenwärtig. Ihre Traditionen prägen bis heute dort das öffentliche wie auch das private Leben. Auch wenn heute der Eine oder Andere keinen intensiven persönlichen Bezug mehr zur gelebten orthodoxen Glaubenspraxis haben mag, kennen Menschen die überlieferte orthodoxe Glaubens- und Lebenswirklichkeit und sind vermutlich mehr davon geprägt, als ihnen selbst immer bewusst sein mag.
In der Diaspora, in der heute viele orthodoxe Gläubige schon in der zweiten bis vierten Generation leben, ist weithin das Gegenteil der Fall. Auch unter kirchlich geprägten und gläubigen orthodoxen Menschen ist die Fülle der Orthodoxen Tradition, die Fülle der kirchliche Lebenspraxis und der christlich- orthodoxe "Way of Life" oft nur in Teilen oder gar unzureichend bekannt. Hier fordert einerseits die Vergangenheit unserer Zuwanderung nach Deutschland durch politische Emigration oder Arbeitsmigration ihren Tribut, anderseits bedeutet Diaspora auch immer kirchlich eine eingeschränkte Lebenswirklichkeit. Oft können die Gläubigen nur an den Sonntagen und hohen Feiertagen ihre Kirche besuchen und so wachsen ihre Kinder in eine andere kirchliche Wirklichkeit, die eher vom Aspekt der Auswahl als der Fülle des kirchlichen Lebens geprägt ist und sich damit grundsätzlich von den kirchlichen Begegnungs- und Erfahrungsmöglichkeiten in den orthodox geprägten Ursprungsländern unterscheidet, hinein. Der bis heute großteils fehlende orthodoxe Religionsunterricht an den Schulen in Deutschland hat sein übriges getan, dass viele Orthodoxe heute nur ein rudimentäres christlich- orthodoxes Wissen haben. Obwohl die Orthodoxe Kirche in Deutschland die drittgrößte anerkannte Kirche und Konfession ist, ist die Orthodoxie in Gesellschaft und Öffentlichkeit noch nicht richtig angekommen und fristet in der Gesellschaft und öffentlichen Wahrnehmung oft nur ein Nischendasein.
Die Mehrheit der Orthodoxen in Deutschland begreift ihren orthodoxen Glauben noch immer vornehmlich als religiösen Aspekt ihrer ererbten nationalen Identität. Doch so wahr, schön, angemessen und richtig es ist, unsere sprachliche und kulturelle Identität als eine Gabe und ein Geschenk Gottes zu begreifen, das wertvoll ist, und von uns gepflegt und bewahrt werden soll und will; so wahr und richtig ist es auch, dass im Laufe der Zeit aus Zu- und Einwanderern, die eine anderen sprachliche und kulturelle Prägung mitgebracht haben und die ihr eigenes Leben und das dieses Land damit bereichert haben, deutsche Inländer werden werden. Die geschichtliche Erfahrung aller orthodoxen Diasporagemeinden in den klassischen Einwanderungsländern belegen die Gesetzmäßigkeit dieser soziokulturellen Realität. Insofern stehen wir Orthodoxe in Deutschland vor der Frage: Was können und was wollen wir über den Lauf der kommenden Jahrzehnte als das für uns Kostbare und Wichtige bewahren? Die nationale Identität unserer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern oder unseren gemeinsamen Orthodoxen Glauben? Entscheiden wir uns aber dazu, der Bewahrung des Orthodoxen Glaubens unter den Gegebenheiten der modernen deutschen Gesellschaft Priorität einzuräumen, so ist dafür ein solides kirchlich geprägtes christlich- orthodoxes Wissen überlebensnotwendig.
Hier möchten wir ansetzten und durch katechetisch orientierte Texte und anderen Artikeln zu Fragen der orthodoxen Glaubenspraxis und einer davon geprägten Lebenskultur Hilfestellung zur geistigen Orientierung orthodoxer Christen im Kontext der heutigen westeuropäischen und deutschen Lebenswirklichkeit geben. Damit orthodoxe Christen diese aus genuin orthodoxer Perspektive bedenken und mitgestalten können und damit sie wegweisende oder - zumindest hilfreiche - Antworten aus kirchlich-orthodoxer Perspektive in den öffentlichen Diskurs mit einbringen können, die für die Entwicklung unserer Gesellschaft bedenkenswert sein können. Durch auf dem Niveau der religiösen Erwachsenenbildung vermitteltes christlich- orthodoxes Wissen möchten wir dazu beitragen, in der Pluralität der Meinungen und weltanschaulichen Überzeugungen unserer modernen Gesellschaft einen eigenen, differenzierten und genuin christlich-orthodox geprägten Standpunkt einzunehmen. So versteht sich zumindest das Ziel und die Selbstverpflichtung unserer Arbeit.
Unsere Redaktion und der Autorenkreis ist kein in sich abgeschlossener Zirkel. Wir freuen uns deshalb sehr über jede konstruktive Form der Anregung oder Kritik und über eine - auch zeitlich begrenzte – qualifizierte Mitarbeit. Sollten Sie durch einen Schriftbeitrag unsere Arbeit bereichern wollen, freuen wir uns über eine Nachricht von Ihnen. Wir bitten jedoch um Verständnis, dass zur Veröffentlichung eingereichte Artikel grundsätzlich einer Endredaktion durch die Schriftleitung unterliegen. Eine Veröffentlichung erfolgt dann aber nur nach Rücksprache und erfolgter Genehmigung der abschließenden Textfassung durch die jeweiligen Autoren. Eine Verpflichtung zum Abdruck eingereichter Texte besteht grundsätzlich nicht.
Die Schriftleitung und Autoren wissen sich ihrem christlich-orthodoxen Glauben und dem Dienst an unserer Kirche verpflichtet. Dies schließt jedoch Stellungnahmen und Gewichtungen zu der gegebenen Meinungsvielfalt innerhalb der Gesamtorthodoxie nicht grundsätzlich aus.
In unserer Arbeit wissen wir uns in erster Linie einem authentischen, orthodoxen Denken verpflichtet. Konkret bedeutet dies: Wir sind als bewusste orthodoxe Christen - auch wenn wir unseren Lebensmittelpunkt in einer modernen, westlichen Gesellschaft gefunden und angenommen haben - nichts desto trotz bemüht, unsere Ansichten ohne falsche Rücksichtnahme auf den Anpassungsdruck des säkularen Zeitgeistes und die vorherrschenden, abendländischen Denkgewohnheiten zu formulieren.
Unsere Arbeit weiß sich einerseits dem orthodoxen Betrag zur christlichen Glaubensverkündigung unter den konkreten Gegebenheiten unserer heutigen Gesellschaft und der Förderung des christlich-orthodoxen Glaubenswissens, das für die Gestaltung eines kirchlich orientierten Glaubenslebens und einer davon geprägten Lebenskultur unter den Bedingungen der Diaspora unerlässlich ist, anderseits aber auch das Bemühen um einen offenen und verständnisorientierten Dialog zwischen uns Orthodoxen und den anderen christlichen Konfessionen, den übrigen Religionen und den weiteren Gruppen der deutschen Gesellschaft verpflichtet.
Bei allem Bemühen von Seiten der einzelnen Autoren und der Schriftleitung um einen kirchlich getreuen und wahrheitsbezogenen Standpunkt können jedoch auch Fehler Eingang in die veröffentlichten Texte finden. Die Verantwortung für derartige Fehler liegt allein bei den jeweiligen Autoren und der Schriftleitung.
Es grüßt Sie herzlich in Christo!
Thomas Zmija von Gojan
- Redaktion & Schriftleitung-