Lobpreis der Gottesmutter-             Ikonen der allheiligen Gottesgebärerin

 

Die Verehrung der Allheiligen Gottesgebärerin und ihrer Ikonen in der orthodoxen Kirche

 

Thomas Zmija

 

In der orthodoxen Kirche wird die Allheilige Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria als die Allerhöchste in der himmlischen und irdischen Schöpfung (vgl. zum Beispiel das Theotokion der Basilius-Liturgie „Über Dich freuet sich…“) gepriesen. Sie ist diejenige, die „geehrter ist als die Cherubim und unvergleichlich herrlicher als die Seraphim“. Wir Orthodoxen verherrlichen sie mit „wahrhaft gottgefälligem Ruhm“. So gibt es in den Gottesdiensten der Kirche, aber auch in den privaten Gebeten der Gläubigen, keine auch noch so kurze Andacht, in der der Lobpreis der Mutter Gottes nicht ertönen würde, in der wir uns nicht mit der Bitte um ihre Hilfe und wirkmächtige Fürsprache bei Gott in den Nöten und Schwierigkeiten unseres Lebens an sie wenden würden und in der wir ihr dann wiederum nicht die schuldige Danksagung für die durch ihre Eintreten für uns empfangenen göttlichen Gnadengaben darbringen würden. Die orthodoxe Verehrung der Mutter Gottes ist keine nebensächliche Frömmigkeitsform, kein unaufgeklärtes Überbleibsel aus mythisch-vormoderner Zeit, sondern das Verhältnis zur Allheilige Gottesgebärerin ist für uns Orthodoxe untrennbar mit der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus verbunden. Deshalb sind die Marienikonen, die die Allheilige in der Regel mit dem Christus-Emanuel- Knaben zeigen, zuallererst eine bildhafte Verkündigung des orthodoxen Glaubens an die wahrhaftige und vollständige Menschwerdung Gottes. Diese besondere Stellung Mariens im Heilshandeln und Erlösungswerk Gottes fasst der heilige Gregor der Theologe in die Worte: „Wer die jungfräuliche Gottesgebärerin nicht verehrt, ist fern von der Gottheit“. Nach orthodoxem Verständnis kann es keinen christlichen Glauben ohne die Verehrung und den Lobpreis der Allheiligen Gottesgebärerin geben.

 

In seinem „Abriss der mystischen Theologie der Ostkirche“ erklärt uns der russische Exiltheologe Vladimir N. Lossky die theologische Bedeutung - also den inneren Sinn - der Verehrung der Allheiligen Gottesgebärerin in der orthodoxen Kirche: Sie ist „das Herz der Kirche, eines ihrer verborgenen Mysterien und ihr geheimnisvoller Mittelpunkt“. Auch warum der Allheilige diese  besondere Stellung im Glauben und geistlichen Leben der Kirche zukommt, wird uns im Anschluss von Lossky erklärt: „Maria ist die Eine, die Mutter Gottes, die dem Wort (Logos) das Menschsein ermöglichte („Mir geschehe nach Deinem Wort“ vgl.: Lukas 1:38) und den Menschgewordenen Gott gebar. Sie machte ihre (menschliche) Natur zum Mittel der Menschwerdung (Gottes), die sich in ihrer durch den Heiligen Geist gereinigten Natur vollzog“ (vgl.V.N.Lossky: Ocerk misticeskogo bogoslovija Vostocnoj Cerkvi – Anmerkung: Die in Klammern gesetzten Passagen finden sich im russischen Orginal nicht und dienen als Anmerkungen des Verfassers dem Verständnis des Textes). Insofern fußt die Verehrung der Gottesmutter nicht allein auf einer christologisch-dogmatischen Begründung, sondern diese Begründung entfaltet sich in einer damit verbundenen  christologisch-soteriologischen Komponente. Deshalb singen wir am Fest der Einführung der Allheiligen Gottesgebärerin in den Tempel im ersten Festlied (Troparion): „Heute ist das Vorspiel des Göttlichen Wohlgefallens und die Ankündigung der Errettung der Menschen…“.

 

Nach orthodoxem Verständnis sprach Christus, der Logos, aus dem Dornbusch zum heiligen Propheten Mose. Wie der Sohn Gottes im Dornbusch als geistliches Feuer gegenwärtig war, der den Dornbusch zwar entflammte, jedoch nicht verbrannte, so nahm der Sohn Gottes auch Wohnung im Leibe der Immerjungfrau Maria, ohne durch die Empfängnis vom Heiligen Geist oder die Geburt ihre Jungfräulichkeit zu verletzen.

 

Das Zeugnis der Heiligen Schriften und die Heilige Tradition bilden in der orthodoxen Kirche nicht zwei verschiedene, also unterschiedliche Quellen der Qffenbarung, sondern sie werden als eine untrennbare Einheit begriffen. Die Heiligen Schriften sind nur der verschriftlichte Teil der christlichen Heilsbotschaft. Wir verdanken der Heiligen Überlieferung der Kirche nicht nur die Tatsache, dass wir um die außerordentliche Rolle der Allheiligen Gottesgebärerin bei unserer Erlösung wissen, sondern durch diese Heilige Überlieferung gelangte auch die Kunde von ihrem historischen Wirken im Laufe der kommenden Jahrhunderte zu uns. Dieses Zeugnis wird für uns in der mündlichen Tradition getreu aufbewahrt. Der heilige Basilius der Große schrieb über die kirchliche Überlieferung: „Von den in der Kirche beobachteten Lehren und verkündeten Wahrheiten haben wir manche aus der schriftlich festgelegten Unterweisung, andere haben wir aus der Überlieferung der Apostel empfangen. Sie sind uns im Verborgenen überliefert worden. Beide haben für den Glauben die gleiche Bedeutung. Ihnen wird niemand, der auch nur eine geringe Erfahrung mit den Satzungen der Kirche hat. Wenn wir nämlich daran dächten, die nicht in der Schrift dargelegten Bräuche zu verwerfen, als hätten sie keine Kraft mehr, möchten wir wohl unbeabsichtigt das Evangelium selbst an wichtigen Stellen schädigen.“ (vgl. Basilius; de Spirito Santo).

 

Deshalb werden in der orthodoxen Kirche die kirchlichen Überlieferungen als wichtige Quelle und verbindliche Norm des Glaubens begriffen. Die ältesten kirchlichen Überlieferungen der apostolischen Zeit werden heute genauso unbestritten anerkannt, wie sie in der orthodoxen Kirche in den vergangenen zwei Jahrtausenden anerkannt waren. Uns sie werden in der Orthodoxie in unverstellter theologischen Reinheit und Wahrheit bewahrt, da die kirchlichen Überlieferungen eine Widerspiegelung der gesamten von Christus verkündeten Heilswahrheit sind.

 

So gründet die Verehrung der Allheiligen Gottesgebärerin auf der apostolischen Urtradition der orthodoxen Kirche, die als eine unverbrüchliche Einheit aus der Heiligen Schrift und der heiligen Überlieferung das unbestrittenen Fundament der Heiligen Kirche darstellt.

 

Die Überlieferungen über die Allheilige Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria beruhen auf der Grundlage eines zweifach überlieferten Zeugnisses: Der mündlichen und der darstellenden Zeugnisse.

 

Zu den darstellenden Zeugnissen gehören die ersten Marienikonen, die vom heiligen Evangelisten Lukas in Gegenwart der Allheiligen Gottesgebärerin geschrieben wurden. So schrieb der heilige Lukas die Ikone "Hodegetria", der „himmlischen Heeerführerin“, auf einer Zypressenholztafel, die einem Tisch im Hause der allheiligen Gottesgebärerin in Nazareth entnommen worden ist. Nach Fertigstellung dieser Ikonen segnete die Allheilige persönlich diese und auch die anderen Marien-Ikonen, die der heilige Lukas geschrieben hat. Die Kraft ihres Segens wirkte in den kommenden Jahrhunderten durch diese heiligen Ikonen hindurch, so dass viele Menschen im Gebet vor ihnen Gottes Hilfe, Rettung und Beistand erfahren haben. Deshalb werden solche Ikonen, nicht nur die vom heiligen Evangelisten Lukas Geschriebenen, als wundertätig verehrt.

 

Neben diesen geheiligten Abbildern der Gottesmutter besitzen wir aber bereits aus der Frühzeit der Kirche eine Vielzahl von Zeugnissen über die Mutter Gottes. So berichtet uns der heilige Dionysios Areopagita, der erste Bischof von Athen, in einem Brief, den er an den heiligen Apostel Paulus schrieb als dieser auf einer Reise von Athen nach Jerusalem war, über seine Begegnung mit der Allheiligen Gottesgebärerin: „…Gott ist mein Zeuge: außer Gott Selbst gibt es im ganzen Universum nichts, was solchermaßen von Gotteskraft und Gnade erfüllt wäre. Keiner kann mit seinem Verstand begreifen, was ich gesehen habe. Ich bekenne vor Gott: Als Johannes, der in der Mitte der Apostel glänzte wie die Sonne am Himmel, mich zur Heiligen Jungfrau führte, erlebte ich etwas Unaussprechliches: Göttliche Glanz erstrahlte vor mir. Er erhellte meinen Geist. Ich fühlte unbeschreibliche Wonnen und war so begeistert, dass weder mein schwacher Leib noch mein Geist diese Zeichen und Visionen der ewigen Seligkeit und der himmlischen Herrlichkeit ertragen konnten. Vor ihrer Gnade erlahmten mein Herz und mein Geist. Wäre ich deiner Mahnung nicht eingedenk gewesen, hätte ich sie für den wahren Gott gehalten. Es ist unmöglich, sich eine höhere Seligkeit vorzustellen, als die, welche ich wahrgenommen habe“.

 

Ein anderer Augenzeuge und Zeitgenosse der Allheiligen Gottesgebärerin war der heilige Ignatios von Antiochien, der Gottesträger. Er schrieb in seinem Brief an den heiligen Apostel Johannes: „Viele unter den Frauen denken nur daran, zu euch zu reisen, um die Mutter Jesu zu schauen. Vertrauenswürdige Menschen berichten uns, dass ihre menschliche Natur wegen ihrer großen Heiligkeit mit der Engelnatur verbunden zu sein scheint. All diese Berichte steigern in uns den unbändigen Wunsch, dieses himmlische Wunder zu schauen.“

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Anmerkung: Die hier zitierten Texte der Heiligen Väter aus apostolischer Zeit sind im 5. Jahrhundert vom heiligen Ephiphanios, dem Erzbischof von Zypern, gesammelt worden. Im 9. Jahrhundert wurden sie in einer Handschrift aus dem Kallistrationkloster in Konstantinopel zusammengefasst. Sie liegen jedoch nicht in einer deutschspracigen Übersetzung vor. In Griechisch können sie gefunden werden in den Migne-Bänden Patrologia Graeca. Auszüge finden sich ebenfalls in Russisch bei E. Poseljanin, Bogomater, 2 Bände, Sankt Petersburg 1909 und bei S. Snessoreva; Zemnaja Žizn Presvjatoj Bogorodicy, Sankt Petersburg 1898.

 

 

In seinen der Allheiligen Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria gewidmeten Homilien stellt uns der Heilige Gregor Palamas die Gestalt der Gottesmutter in ihrer geistlichen Schönheit und deren theologischen Sinn vor Augen: „Da Gott ein Bild der absoluten Schönheit schaffen und den Engeln und Menschen seine künstlerische Meisterschaft aufs Klarste zeigen wollte, machte Er Maria in Wahrheit zu der Ganz-Schönen. In ihr vereinigte Er alles, was Er an Schönheit auf die übrigen Geschöpfe verteilt hatte und machte sie so zur Zierde aller sichtbaren und unsichtbaren Wesen. Besser ausgedrückt: Er machte aus ihr gleichsam eine Mischung aller Vollkommenheiten Gottes, der Engel und der Menschen, eine erhabene Schönheit, die die beiden Welten verschönert. Sie erhebt sich von der Erde zu Himmel und überragt ihn sogar.“ (PG 151)

 

So wird die Allheilige Gottesgebärerin auf den orthodoxen Ikonen so dargestellt, wie es uns die Wahrheit der heiligen Überlieferung, sowohl durch die mündlichen Berichte wie durch die erhalten ersten Ikonen des heiligen Apostel Lukas bezeugen.

 

In den Leseminäen finden wir für den 26. Juni folgende Erzählung „Von der wundertätigen Ikone der Allheiligen Gottesgebärerin, die Hodegetria genannt wird“:

 

„Nach der Himmelfahrt unseres Herrn Jesus Christus und nach der Ausgießung des Heiligen Geistes verging eine lange Zeit. Der göttliche Apostel und Evangelist Lukas, der auch der Ikonenmalerei mächtig war, malte das Bild unserer reinsten Herrin, der Gottesgebärerin auf eine Tafel. Er brachte es der Urbildlichen, der Herrin und Immerjungfrau Maria. Sie schaute auf ihre Ikone, erinnerte sich an ihre frühere Prophetzeihung und rief: „Siehe von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder“. Und sie fügte hinzu: „Meine Gnade wird mit dieser Ikone sein“. Und ihr heiliges Wort wurde zur Tat, denn von dieser Ikone kamen unausssprechliche Wunder durch die Gnade der Gottesmutter. Danach wurde die Ikone des heiligen Lukas nach Antiochien zum Edlen Theophilos geschickt, der den Glauben an Christus empfing. Er (Anmerkung: der heilige Evangelist Lukas) hat ihm auch die Frohe Botschaft geschrieben. Und nich nur Theophilos, sondern auch alle dortigen Christen verehrten die Ikone durch Verneigung, wie es sich gehört“ (vgl. auch A. Maltzew; Menologion der Orthodox-Katholischen Kirche des Morgenlandes, Berlin 1900).

 

Anfang des 6. Jahrhunderts berichtet uns dann Theodoros, der Lektor, dass die Kaiserin Eudoxia, die Gemalin des Kaisers Theodosios II eine in Jerusalem vom heiligen Apostel Lukas gemalte Ikone der Gottesmutter an die Schwester des Kaisers Pulcheria nach Konstantinopel gesandt hat.

 

Auf die Ikonen des heiligen Apostels und Evangelisten Lukas gehen die drei ikonographischen Grundtypen aller orthodoxen Muttergottesikonen zurück. Der heilige Lukas hat als erster Ikonenmaler, der allein würdig war, das Urbild der Allheiligen Gottesgebärerin vermittels der Farben im Bilde darzustellen, den künftigen Generationen von Ikonenmalern ein reales und zugleich ideales Vorbild für die Darstellung der Allheiligen Gottesgebärerin hinterlassen. Welche drei ursprünglichen Typen der Marienikonen der heilige Lukas geschrieben hat, können wir der mündlichen Überlieferung und der kirchlichen Tradition des Ikonenschreibens, also den schriftlichen Zeugnissen der Malerhandbücher und den auf uns gekommenen Ikonen entnehmen.

 

Da die heilige Ikone der Hodegetria während der osmanischen Eroberung Konstantinopels zerstört wurde, bietet uns diese byzantinische Relief-Ikone aus dem 12. Jahrhundert, die sich heute  in der Basilika von Torcello bei Venedig befindet, einen guten Eindruck von der ursprünglichen Lukas-Ikone in Konstantinopel.

 

Die Bekannteste der Lukasikonen ist die Himmlische Heerführerin, die „Hodegetria“ (Παναγία η Οδηγήτρια), die auch „Himmlische Wegführerin“ oder „Starke Helferin“ genannt wird. Ganz allgemein stellt diese Ikone das ursprüngliche Vorbild für alle Varianten der Muttergottesikone dar, die die Allheilige Gottesgebärerin mit dem Christus-Emanuel-Knaben auf dem Arm darstellen.

 

Ob es sich bei der ersten Hodegetria nur um ein Brustbild handelte, oder die gesamte Gestalt der Gottesmutter dargestellt wurde, lässt sich heute nichtmehr feststellen. Bei späteren Übertragungen des Vorbildes durch andere Maler kam es zu den verschiedenen Varianten, aus denen sich dann allmählich alle heutigen Darstellungsformen der Gottesmutter mit Kind entwickelt haben.

 

Zum Typus der Hodegetria-Ikonen gehören in Russland zum Beispiel die Iverskaja, die Tschenigovskaja, die Smolenskaja und die Kasanskaja. Die bekanntesten griechischen Ikonen dieses Typus sind die „Axion Estin“ und die „Blacherniotissa“, die bekannteste serbische ist die Gottesmutter-Ikone des Chilandar-Klosters auf den Heiligen Berg Athos. Bei der Ikone der Allheiligen Gottesgebärerin von Chilandar handelt es sich jedoch um eine alte Ikone, die sich ursprünglich in der Obhut des heiligen Johannes von Damaskus befunden hatte, und nicht um die Arbeit eines serbischen Ikonenmalers.

 

 

Wie bereits erwähnt, sandte die Kaiserin Eudoxia eine durch den heiligen Lukas geschriebene Ikone der Gottesmutter vom Typ der „Hodegetria“ nach Konstantinopel als Geschenk zur heiligen Pulcheria. Die Heilige empfing sie ehrerbietig und stellte die wundertätige Ikone in der Kirche der Allheiligen Gottesmutter im Konstantinopeler Stadtteil Blachernae auf. Dort war die heilige Ikone eine große Zierde der kaiserlichen Stadt, denn sie wirkte viele Wunderheilungen, so dass die Menschen die Ikone „Hodegetria“, „Himmlische Wegführerin" und "Starke Helferin“ nannten.

 

Einmal erschien die Allheiliger Gottesgebärerin selbst zwei Blinden. Sie brachte die beiden in ihre Kirche im Blachernenviertel zu ihrer wundertätigen Ikone. Dort gab sie ihnen das Augenlicht wieder. So begannen die Menschen aufgrund dieses Wunders die Allheilige Gottesmutter „Himmlische Wegführerin“ zu nennen. Dabei ist es sehr wahrscheinlich, dass „Hodegetria“ und „Blacherniotissa“ nur zwei unterschiedliche Bezeichnungen für die gleiche wundertätige Ikone der Muttergottes waren. Im Laufe der Zeit verwendete man den Ausdruck „Blacherniotissa“ dann, wenn man zur Gottesmutter als „Unzerstörbaren Schutzmauer und Beschirmung“ betete.

 

 

In dieser schützenden und aus Kriegsgefahr errettenden Eigenschaft als „Hodegetria Blacherniotissa" trat die Allheilige Gottesmutter immer wieder in der Balachernenkirche in Konstantinopel in Erscheinung. Denn hier betete das gläubige Volk von Konstantinopel in Kriegs und Notzeiten vor der wundertätigen Ikone. So war es, als jener  Gottesdienst statt, indem der heilige Andreas, der Narr in Christo, das Schleierwunder und die damit verbundene große Fürbitte (Prokov) der Allheiligen Gottesgebärerin erlebte. Hier wurde auch erstmals der Hymnus Akathistos gesungen, woraufhin die Gottesmutter die Stadt aus der Kriegsgefahr errettete.

 

 

Später ist die wundertätige Hodegetria bei der Eroberung der Kaiserstadt durch die muslimischen Osmanen zu Grunde gegangen. Der griechisch-byzantinische Historiker Michalis Dukas berichtet uns, dass während der Eroberung der Stadt überall geplündert, gemordet, vergewaltigt und gebrandschatzt wurde. So drangen  türkische Janitscharen auch in das Chora-Kloster ein, wo sich die heilige Ikone damals befand. Einer der Janitscharen zog seinen Säbel und zerschlug das Gnadenbild in vier Teile. Jeder Krieger erhielt ein Stück der Ikone mit dem wertvollen Oklad bevor sie das gesamte übrige Kloster plünderten. Aufgrund solcher Ereignisse blieben in der ehemaligen rhomäischen Hauptstadt nur einfache Kopien der Hodegetria Blacherniotissa erhalten. Jedoch ist dieser heilige Ort auch nach der Zerstörung in osmanischer Zeit bis in unsere Tage ein Ort des orthodoxen Gebetes geblieben. Im 19. Jahrhundert konnte die griechische Gemeinde den Ort mit einem bescheidenen Heiligtum zu Ehren der Gottesmutter in Blachernae überbauen.

 

Der zweite, auf eine Ikone des heiligen Evangelisten Lukas zurückgehende Darstellungstyp wird „Fürbitterin“ oder „Paraklissa“ genannt. Hin und wieder wird diese Ikone auch „Chalkoprataia“ genannt, nach dem Stadttteil in Konstantinopel, wo die Ikone später aufbewahrt wurde. Bei der Ikone handelt es sich um eine Darstellung der allheiligen Gottesgebärerin mit zum Gebet erhobenen Armen.

 

 

Als dritten Ikonentypus, der nach dem Zeugnis der Heiligen Tradition auf eine Ikone des heiligen Evangelisten Lukas zurückgeht ist die „Barmherzigkeit Schenkende“ oder „Eleousia“ (Παναγία "Η Ελεουσα). Die bekannteste dieser Ikonen ist die wundertätige Ikone der Gottesmutter vom Kykkos-Kloster (Ikone der Gottesmutter der Barmherzigkeit) auf Zypern, das direkt vom heiligen Lukas geschrieben wurde. Die bekannteste russische Ikone vom Typus der „Allerbarmerin“ (Umilenie) ist die Gottesmutter-Ikone von Vladimir.

 

Über die Hodegetria-, die Kykkos- und die Chalkoprataia-Ikone berichtet uns die heilige Überlieferung, dass es sich noch nicht um Ikonen in Ei-Tempera-Technik, sondern um Ikonen im der älteren antiken Maltechnik der Enkaustik, bei der die Farben mit Wachs und Mastix gebunden und aufgetragen wurden, handelte. Derartige uralte Ikonen in der Enkaustik-Technik werden heute noch im Katharinenkloster am Berg Sinai aufbewahrt. Die meisten übrigen Ikonen dierser Maltechnik wurden in der Zeit der Ikonoklasmus zerstört, so dass die ältesten Ikonen in den meisten orthodoxen Ländern heutzutage erst aus nachikonoklastischer Zeit stammen.

 

Außer den auf den heiligen Apostel und Evangelisten Lukas zurückgehenden Ikonen gibt es auch nicht von Menschenhand geschaffene Ikonen der Gottesmutter. Die bekannteste dieser Ikonen ist die Ikone der allheiligen Gottesmutter von Lydda, auch nach dem späteren Aufbewahrungsort einer ihrer wundertätigen Kopien Ikone der Allheiligen Gottesmutter von Rom (Salus Populi Romani) genannt. Nach dem Zeugnis des Sendschreibens der dreiöstlichen Patriarchen an Kaiser Theophilos (833) war es auf der Säule einer Kirche in Lydda erschienen, während sich die Allheilige selbst auf dem Berg Zion in Jerusalem aufhielt. So hat die Allheilige Gottesgebärerin der Bitte der heiligen Apostel Petrus und Johannes Gehör geschenkt, sie möge am Tag der Weihe der Kirche in Lydda anwesend sein. Unter dem Patriarchen Germanos wurde die Kopie der Ikone in Lydda geschrieben, die heute in der römischen Basilika Santa Maria Maggiore aufbewahrt wird und dort „Heil des römischen Volkes“ (Salus Populi Romani) genannt wird.

Eine weitere nicht von Menschenhand geschriebene Ikone der Gottesmutter erschien, als der heilige Lukas ein Brett für die Malerei vorbereitete. Durch ein Wunder bildete sich die Darstellung der Allheiligen von selbst auf der Tafel ab. Diese Ikone wurde seit dem Jahr 781 in Trapezunt an der Schwarzmeerküste Kleinasiens verehrt. Die Ikone der Gottesmutter vom Soumela-Kloster ist eine wundertätige Kopie dieser Trapezunter Gottesmutterikone.

 

 

Alle angeführten Beispiele der auf uns gelangten seltenen Ikonen aus ältester Zeit zeigen, dass trotz des großen Schadens, den die Häresie des Bildersturms der Orthodoxie zugefügt hat, die ursprüngliche apostolische Tradition erhalten blieb. Auch die überlieferten Darstellungen der Allheiligen Gottesgebärerin blieben erhalten, obwohl die Häretiker über ein Jahrhundert vergeblich versuchten, die Stimme der heiligen Tradition zum Schweigen zu bringen.

 

Die orthodoxe Tradition des Ikonenschreibens ist seit apostolischer Zeit geheiligt und bestätigt. Diese Heiligkeit basiert aber nicht in erster Linie auf der Autorität des heiligen Apostels und Evangelisten Lukas als dem ersten Ikonenmaler, in dessen heiliger Überlieferungstradition alle heutigen orthodoxen Ikonenmaler stehen. Denn mit der Tätigkeit des heiligen Lukas als Ikonenmaler entstehen die ikonographischen Grundmuster die in sich alle Grundideen der christlich-orthodoxen Gottesverehrung und Gottesgemeinschaft tragen. Vor allem die drei Grundtypen der vom heiligen Evangelisten Lukas geschriebenen Gottesmutterikonen lassen sich auch als Ausdruck des christlichen Dreiklangs von Glaube-Hoffnung-Liebe verstehen.

 

Die Heiligkeit der Marienikonen aber basiert vor allem in der Allheiligen Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria selbst, die einerseits den Ikonenmalerdienst segnete und anderseits durch ihre Abbilder allen wahrhaft Christgläubigen das Siegel ihrer geistlichen Gegenwart aufdrückt, damit wir durch ihren Beistand, ihre Gebete und ihr Vorbild voll Demut den Weg zur gnadenhaften Gemeinschaft mit Gott durch die Theosis beschreiten.

 

 

Die Ikone der allheiligen Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria „Salus Populi Romani“ auch „Maria Schnee“ genannt.

 

Thomas Zmija

 

Die Ikone der allheiligen Gotttesgebärerin und Immerjungfrau Maria „Salus Populi Romani“ (zu deutsch: „Heil (oder Rettung) des römischen Volkes“) auch „Maria Schnee“ genannt,  gehört zu den am meisten verehrten Gottesmutter-Ikonen in der abendländischen Christenheit. Sie wird in der ältesten Marienkirche Roms (aus dem 5. Jahrhundert), der Patriarchalbasilika Santa Maria Maggiore, aufbewahrt. Sie wurde vom heiligen Apostel und Evangelisten Lukas im Beisein der allheiligen Gottesgebärerin nach der Himmelfahrt des HERRN in Jerusalem auf dem Berg Zion geschriebenen. Dort versammelten sich die heilige Apostel und Jünger - und um sie die Gläubigen der Urkirche - in dem Haus, in dem das heilige letzte Abendmahl stattgefunden hatte. In dessen Obergemach hat dann der der heilige Lukas die ersten Ikonen der Gottesmutter geschrieben.

 

 

Der eigentliche Ursprung der Ikonen geht direkt auf die Kirche des Alten Bundes und den ursprünglichen Glauben des Volkes Israel zurück. Gott sprach zu Seinem Volk, zu den heiligen Propheten Moses, in der Wüste: "Fertige eine Lade aus unvergänglichem Holz und bedecke sie mit Gold und mache ihr oben herum einen goldenen Kranz". Auch fertigte Mose die Darstellungen der Cherubim und den Typos (Vorabbbildung) des heiligen Kreuzes an, als er die an einem kreuzförmigen Stab erhöhte Schlange im Auftrag Gottes machte.

 

Als erster Ikonenmaler wird dann der heilige Evangelist und Apostel Lukas bezeichnet. Nach der kirchlichen Überlieferung, von der uns der heiligen Johannes von Damaskus berichtet, schrieb der Apostel Lukas die ersten Ikonen unseres HERRN Jesus Christus und der allheiligen Gottesmutter. Ebenfalls hat er Ikonen der heiligen Propheten und der heiligen Apostel gemalt. Die allreine Gottesgebärerin hat dann diese Ikonen nach ihrer Vollendung gesegnet. Durch das Gebet vor diese heiligen Ikonen haben sich dann viele Wunder ereignet, so dass wir sagen können, dass die allheilige Gottesmutter mit Hilfe dieser Ikonen viele wunderbare Dinge vollbracht hat und dass wir durch die Gegenwart dieser heiligen Ikonen die heilenden Kräfte Gottes erfahren dürfen. 

 

Seit dem 5. Jahrhundert haben wir dann auch die ersten schriftlichen Berichte über die Ikonen der allheiligen Gottesgebärerin, die sich bis heute erhalten haben. Jedoch finden wir, außer den Ikonen, die der heilige Apostel Lukas geschrieben hat, die ältesten, heute noch erhaltenen, Ikonen der Muttergottes bereits in den römischen Katakomben (um 100 nach Christus), wo sie als "Gottesmutter Orante", unsere Fürbitterin, dargestellt wird. Diese Darstellung findet sich auch bis heute in den Fresco-Ikonen in der Apsis vieler orthodoxer Kirchen. Die ersten Ikonen der allreine Gottesmutter verbanden oft den aus Rom überlieferten Darstellungstypus der allheiligen Mutter mit dem Christuskind mit dem Typus aus Konstantinopel, der die Mutter Gottes als  Kaiserinmutter darstellt.

 

 

Seit dem 16. Jahrhundert verbreiteten sich dann viele Kopien dieser hochverehrten, wundertätigen Ikone in ganz Zentral- und Ostmitteleuropa. Sie wird nach dem Beinahmen der Basilika Santa Maria Maggiore, die wegen eines Schneewunders während ihres Baus auch als die "Basilika der Madonna im Schnee“ bezeichnet wird,  "Maria Schnee" genannt. So finden sich im Münster in Ingolstadt, aber auch im Ermländer Wallfahrtsort Marienlinde in Ostpreussen, wundertätige Kopien der „Salus Populi Romani“. Andernorts heißt derselbe Bildtyp "Gottesmutter der Tröstung" (so z.B. in Stuttgart in der katholischen Domkirche  Sankt Eberhard).

 

Der Beiname "Heil, Errettung oder auch Erlöserin des römischen Volkes" reicht bis zu Ereignissen in den letzten Jahren des VI. Jahrhunderts zurück, als die Bewohner Roms von einer schweren Pestepidemie heimgesucht wurden. Im Jahre 593 trug der heilige Gregor Dialogos, der zu jener Zeit Erzbischof (Papst) von Alt-Rom war, diese Ikone der allheiligen Gottesgebärerin in einer Bittprozession, bei der um die Rettung der Stadt gebetet wurde, durch die römischen Straßen. Währenddessen erblickte er am Himmel einen Engel mit einem Schwert und kurz darauf zog sich die Pest zurück. Dieses Wunder wurde von den Römern dem Eingreifen der allheiligen Gottesgebärerin und der Kraft ihrer Fürbitte zugeschrieben. Bis heute kommen täglich unzählige Pilger aus aller Welt - aber vor allem auch die Römer selbst - zu dieser Ikone, um dort der allheiligen Gottesmutter ihre vielen Bitten und Anliegen vorzutragen.

 

 

Seit dem 19. Jahrhundert wird die Ikone in der Cappella Paolina an der linken Seite im Schiff der Basilika aufbewahrt. Vorher war sie jahrhundertelang über der Tür zum Baptisterium platziert. Entsprechend dem lateinischen Marienhymnus „Salve Reina, mater misericordiae“, das in der lateinischen Kirche dem „Wahrhaft würdig“ in unserer orthodoxen Tradition entspricht, wurde die Ikone im Mittelalter dann als „Regina caeli“ (Königin der Himmel) bezeichnet. Später versetzte man sie in das Langhaus der Kirche. Seit dem 13. Jahrhundert stand die Ikone in einem Marmorschrein. Seit dem Jahre 1613 befindet sie sich über dem Altar der Cappella Paolina, der eigens für die Aufbewahrung dieser heiligen Ikone errichtet worden war.

 

Die Maße der Ikone betragen 118 × 79 cm. Sie ist auf eine dicke Zedernholztafel geschrieben. Die Gottesmutter trägt einen goldgesäumten, dunkeln, purpurblauen Mantel über einer purpurroten Tunika. Das Christuskind hält ein Buch in seiner linken Hand und segnet mit Seiner Rechten. Die Ikone gehört zum Typus der Hodegetria-Ikonen (zu deutsch: "Heerführerin" oder "Wegweiserin"). Die zusammengelegten Hände der Gottesmutter weisen dieses Bild als sehr frühe Ikone aus, bevor der Typus der Hodegetria-Ikone sich im 10. Jahrhundert so weiterentwickelte, dass die allheilige Gottesgebärerin mit ihrer Rechten auf den Christusknaben weist. Entsprechend der antiken Tradition hält die Gottesmutter in ihrer Hand eine Mappa (oder Mappula, eine Art besticktes, zeremonielles Taschentuch). Diese Mappa galt in der Antike als kaiserliches Symbol. Sie betont den königlichen Status der Mutter Gottes, wenngleich die Ikone ursprünglich keine Krone trug. Erst anlässlich des marianisches Jahres 1953, das mit dem Schreiben (Enzyklika) des Papstes "Fulgens corona" („Die strahlende Krone“) ankündigt wurde, ließ der damalige Papst Pius XII. die Ikone mit einer Krone und einem bischöflichen Brustkreuz schmücken. Die Krone wurde dann später wieder entfernt.

 

Nach detaillierten Studien der Kunsthistoriker kann die Ikone in ihrer ursprünglichen Form in die Spätantike, also die Lebenszeit des heiligen Evangelisten und Apostels Lukas, datiert werden. Der jetzige Zustand geht auf eine Übermalung im 13. Jahrhundert zurück, die auf mehreren früheren Überarbeitungen aufgetragen wurde.

 

Als im 16. Jahrhundert die protestantische Reformatoren die Bedeutung der allheiligen Gottesgebärerin im Heilsplan Gottes und im Glaubensleben der Kirche bestritten, kam im Jahr 1570 eine Kopie der römischen Ikone in das Jesuitenkolleg nach Ingolstadt. Bald sammelte sich dort um die Verehrung dieser Ikone eine studentische Bruderschaft (Colloquium Marianum). Während der ganzen Barockzeit wurde sie dort unter dem Namen "Dreimal Wunderbare Mutter" hoch verehrt. Vom Ingolstädter Gnadenbild sind viele Kopien an verschiedene Kirchen in ganz Europa gelangt, vor der sich durch das Gebet zur allheiligen Gottesgebärerin viele Wunder, Heilungen und Rettung aus großer Not ereigneten.

 

Als im 16. Jahrhundert die protestantische Reformatoren die Bedeutung der allheiligen Gottesgebärerin im Heilsplan Gottes und im Glaubensleben der Kirche bestritten, kam im Jahr 1570 eine Kopie der römischen Ikone in das Jesuitenkolleg nach Ingolstadt. Bald sammelte sich dort um die Verehrung dieser Ikone eine studentische Bruderschaft (Colloquium Marianum). Während der ganzen Barockzeit wurde sie dort unter dem Namen "Dreimal Wunderbare Mutter" hoch verehrt. Vom Ingolstädter Gnadenbild sind viele Kopien an verschiedene Kirchen in ganz Europa gelangt, vor der sich durch das Gebet zur allheiligen Gottesgebärerin viele Wunder, Heilungen und Rettung aus großer Not ereigneten.