Ihr Völker, schauen wir das Kreuzesholz,durch das uns Christus die Erlösung wirkte und gläubig wollen wir es verehren!
In der Evangeliumslesung dieses Sonntags (Mk 8:34-9: 1) sagt Christus zu einem jeden von uns: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Um zu verstehen, was Christus uns sagen will und wozu er uns an diesem Sonntag in der Mitte der Großen Fastenzeit auffordern will ,müssen wir in den griechischen Urtext des Evangeliums schauen. Hier steht das Wort „ἀπαρνησάσθω“, was wir im deutschen Text mit „verleugnen“. Die Bedeutung des griechen Begriffs ist aber weitaus umfassender als die deutsche Übertragung. Nehmen wir den Urtext erst, so werden wir an- und aufgerufen zum Verzicht und zur völligen Ablehnung von allem, was mit Christi Erlösungswerk, seinem Heilwillen für uns alles, unvereinbar ist.
Manche von uns – und wenn wir ganz ehrlich sind, gehören auch wir dazu - haben ein sehr begrenztes Verständnis von der Selbstverleugnung um Christi willen. Wir wählen aus einer selbstentworfenen Liste von Nebensächlichkeiten aus, was wir in der Fastenzeit unterlassen wollen. Wir entscheiden uns dann in der Großen Fastenzeit nicht ins Kino zu gehen, kein Klavier zu spiele, kein weltliches Buch zu lesen oder nicht fernsehen zu wollen. All diese kleinen Schritte des Bemühens müssen nicht falsch sein. Gott sieht unser Bemühen und schenkt uns dafür Seine Gnade. Aber diese kleinen Gesten sind nicht die „Selbstverleugnung der inneren Umkehr“, von dem die Evangeliumslesung zu uns spricht. Die christusgleiche Selbstverleugnung muss viel tiefer gehen und viel umfassender sein. Christus will eine Umkehr unserer Herzen. Diese allein vermag die Fassade zu durchdringen, die unsere verborgenen Sünden verdeckt.
Verzicht heißt also nicht, dass wir unsere notwendigen Lebensbedürfnisse nicht befriedigen dürften, oder dass wir keine Freude mehr haben dürften an den guten Gaben von Gottes Schöpfung. Christliche Selbstverleugnung heißt auch nicht, dass wir unsere Individualität, Persönlichkeit oder Identität verlieren müssen, mit denen uns Gottes Vorsehung ja gerade ausgestattet hat und die wir nach Christi Beispiel und Vorbild so ausgestalten sollen, dass wir lebendige Ikonen Christi werden. Wenn unser Herr und Erlöser Jesus Christus von der völligen und äußersten Selbstverleugnung redet, meint Er, dass wir unser nach Aufmerksamkeit und Anerkennung heischendes Ich, unser geltungsbedürftiges Ego zurückstellen müssen, das uns daran hindert die Kinder Gottes zu werden, zu denen wir berufen sind.
„Nimm dein Kreuz und folge mir“ heißt, dass wir unsere Reise zur Erlösung so antreten müssen, wie der verlorene Sohn in das Haus des Vaters zurückgekehrt ist. Es geht nicht um Askese als Selbstkasteiung, sondern um Askese als Heimkehr zu Gottes Weges, zu einem Leben in seiner Gegenwart und Liebe. Denn wenn unser Lebensweg, nicht Gottes ewiges Reich zum Ziel hat, sondern nur etwas Moral und eine pharisäerhafte Selbstgerechtigkeit, dann müssen wir innehalten, umkehren und den richtigen Weg in die liebenden Vaterarmes Gottes suchen. Sein Kreuz auf sich nehmen und Jesus Christus nach zu folgen heißt, an unseren bösen Eigenschaften geduldig mit Gottes Hilfe zu arbeiten, sich noch größere Mühe zugeben, unseren unkontrollierbaren Zorn zu beherrschen, unsere unangebrachte Gefühllosigkeit gegenüber unseren Mitmenschen abzulegen, unserer Ungeduld und unserem Ungestüm Zügel anzulegen, in unserem Temperament die guten Anlagen zu stärken und die Schlechten Seiten in uns geduldig aber konsequent mit der Hilfe der göttlichen Gnade umzuwandeln, unsere schlechten Angewohnheiten zu bändigen, damit wir sie beherrschen und nicht sie uns.
Der hl. Johannes Chrysostomos beschreibt uns das hl. Kreuz dabei als unsere Waffe, Hilfe und Schirm: „Das Kreuz ist der Beweis der Liebe Gottes. Das Kreuz ist die unerschütterliche Mauer, die unbezwingbare Waffe, das Reich der Tugend. Das Kreuz hat unseren Schuldbrief zerrissen und die Macht des Todes bezwungen. Das Kreuz hat uns das Paradies geöffnet; es hat den Räuber eingelassen und das Geschlecht der Menschen aus dem drohenden Verhängnis in das Reich Gottes geführt.“
In der Mitte der Großen Fastenzeit, am Sonntag der Kreuzverehrung, zeigt uns die Kirche das lebensspendende Kreuz des Herrn. Die Kirche ist der Herold, die Künderin an uns, die einem jeden von uns Christi Einladung überbringt, uns von unseren falschen Wegen abzuwenden und stattdessen den Weg zum Himmelreich zu wählen. Das bedeutet, dass wir uns verleugnen, unser Kreuz geduldig auf uns zu nehmen und Christus nachzufolgen. Aber zugleich ist der Sonntag der ein Tag der Stärkung, Auf- und Ausrichtung und Erquickung. Wie der hl. Prophet Elias das himmlische Brot von Raben in der Wüste zur Stärkung erhielt, so erhalten wir jetzt die Stärkung und den Schutz des hl, Kreuzes gereicht. Aber Gott zwingt den Menschen nicht zur Annahme des Heils. Die Initiative liegt bei uns, unsere bisherige Fastenreise zu bewerten und sie dann mit umso größerer Entschiedenheit fortzuführen. So wie der Weg in den Frühling durch die Härten des Winters führt, so gibt es keinen anderen Weg zum ewigen Leben als in der Nachfolge Christi voranzuschreiten. Wir tun das wenn wir die tiefe Ernsthaftigkeit des Christseins nicht zu verleugnen suchen. Denn es gibt keinen Weg in die Osterfreude, ohne nicht auch auf Golgotha beim Herrn zu sein. Dies tun wir, wenn wir unser persönliches Kreuz auf uns nehmen und Ihm konsequent nachfolgen.
Tropar im 1.Ton: Errette, Herr, Dein Volk und segne Dein Erbe, Siege schenke Deinen Frommen über ihre Widersacher und behüte Durch Dein Kreuz, die Dir eigene Gemeinde.
Kondak im 7. Ton: Nicht mehr bewacht das Flammenschwert die Pforte von Eden. Denn es nahte sich ihm eine neue Versöhnung, des Kreuzes Baum. Des Todes Stachel und des Hades Sieg ist zerschmettert. Du tratest, mein Heiland, herzu, den Hadesbewohnern zurufend: Lasst euch zurückführen ins Paradies!
Zur Verehrung des heiligen Kreuzes
Diakon Thomas Zmija
In der Antike war die Hinrichtung am Kreuz die Quelle der Schande und des Entsetzens. Nicht nur bei den Römern und Griechen, sondern auch bei den Juden galt der Gehenkte, und damit auch der Gekreuzigte, als von Gott verflucht. Es gab für die Menschen des Altertums keine Hinrichtungsart, die entsetzlicher und entehrender gewesen wäre. Aus diesem Grund wurde die Hinrichtung zur Kreuzigung von den Römern und Griechen, aber auch von den Babyloniern, Assyrern und Persern vor allem an Sklaven, Kapitalverbrechern und Staatsfeinden vollzogen. Die Verurteilung eines Verbrechers zur Kreuzigung kam somit einer Aberkennung aller seiner Rechte als Mitglied der menschlichen Gesellschaft gleich. Der zur Kreuzigung Verurteilte wurde damit dem Hohn und Spott der Allgemeinheit ausgeliefert. Deshalb sagt uns der heilige Apostel Paulus: „Das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft.“ Und weiter an der gleichen Stelle: „Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: Für die Juden ein empörendes Ärgernis, für die Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Weisheit.“ (1. Korinther 1, 18-24). Und damit sind wir bei der entscheidenden Frage angelangt: Was aber bedeutet das Kreuz für die Christen?
Denn seit dem Ostermorgen ist das Kreuz vor aller Welt offenbar geworden als das Werkzeug des Heils und das Mittel unserer Erlösung. Deshalb ist es das Schutzzeichen der Christen und ein Gegenstand unserer Verehrung. Am Sonntag der Kreuzverehrung in der großen Fastenzeit singen wir deshalb: „Vor Deinem Kreuze werfen wir uns nieder, o Gebieter, * und Deiner heilige Auferstehung preisen wir!“ So ist das heilige Kreuz für die gläubigen Christen nicht mehr ein Zeichen von Schmach und Tod, sondern das Zeichen des Heiles und der lichten Auferstehung Christi.
Deshalb tragen wir seit unserer Taufe das Zeichen des heiligen Kreuzes um unseren Nacken; deshalb bezeichnen wir uns zum tätigen christlichen Bekenntnis mit den heiligen Kreuzzeichen; deshalb bewahren wir die Ikone des heiligen Kreuzes in den Ikonenecken unserer Häuser auf und deshalb ruft das Zeichen des heiligen Kreuzes auf den Kuppeln unserer Kirchen die Gläubigen zum Gottesdienst. Und deshalb sagen wir Christen mit dem heiligen Apostel Paulus: „Mir sei es ferne - bewahre Gott - mich in etwas anderem zu rühmen, als im Kreuze unseres Herrn Jesus Christus, durch den mir die Welt gekreuzt ist und ich der Welt.“ Das Zeichen des Kreuzes mahnt uns, dass wir als Christgläubige inmitten der Welt Zeugnis geben vom Heil und der Erlösung die Christus durch Seinen Tod am Kreuz und Seine glorreiche Auferstehung inmitten dieser Welt vollbracht hat. Und zugleich gemahnt uns das Zeichen des heiligen Kreuzes, dass wir zwar in dieser Welt leben, aber nicht von dieser Welt sind.
Und so ist das heilige Kreuz überall im Leben der Christen und der Kirche präsent. Wohin wir auch immer schauen, überall sehen wir das Zeichen und die Ikonen des heiligen Kreuzes: es dominiert die Kuppeln unserer Kirchen, es liegt auf dem Altartisch im Gotteshause, es ziert die Kronen der christlichen Könige und befindet sich auf der Brust eines jeden orthodoxen Christen. Das Kreuz begrüßt uns bei der Taufe und segnet uns bei dem Übergang in das ewige Leben. Nach dem Ende unseres irdischen Lebens steht das Kreuz als Zeichen unserer christlichen Hoffnung auf unseren Gräbern. Und zugleich ist das heilige Kreuz nicht nur von überragender Bedeutung für uns orthodoxe Christen, sondern das Zeichen des heiligen Kreuzes verbindet bis heute die Christenheit des Ostens und des Westens.
So hat sich seit jenem Ostermorgen in Jerusalem eine große Veränderung im Verständnis des Kreuzes vollzogen. Seit der Zeit der heiligen Apostel begannen die Christen, das Kreuz mit Ehrfurcht zu verehren, wo es doch bis dahin als Werkzeug des Spottes gedient hatte. Das ist deswegen geschehen, weil der Sohn Gottes gerade auf dem Kreuz für die Sünden der ganzen Welt sterben wollte. Durch Sein freiwilliges Opfer am Kreuz hat Christus, der menschgewordene Gottessohn, allen Menschen wieder den Weg zum himmlischen Vater eröffnet. Gottes unüberwindliche Liebe wollte uns Menschen, die wir alle Sünder sind, durch Christi Heilstaten, deren Gipfel der Kreuzestod und die glorreiche Auferstehung sind, aus unserer selbstgewählten Verstockung und Gottesferne erretten. So ist das heilige Kreuz der Schlüssel, der uns das Reich der Himmel wieder geöffnet hat.
Seit der Zeit, da unser Herr und Erlöser Jesus Christus am Kreuze starb und nach drei Tagen glorreich aus dem Grabe wieder auferstanden ist, wurde Seine unüberwindliche, unbeschränkte göttliche Kraft auch auf das heilige Kreuz übertragen. Die Kraft von Christi göttlicher Erlösung ist seitdem für alle Zeiten mit dem heiligen und lebensspendenden Kreuz verbunden. Die allheilige Reliquie des heiligen und lebensspendenden Kreuzes, deren Teile heute in allen Teilen der Christenheit auf der Welt aufbewahrt werden, ist so mächtig und stark, weil es Symbol und Träger des Auferstehungsmysterions ist. Die Christen finden in der allheilige Reliquie des heiligen und lebensspendenden Kreuzes ein Geheimnis ihres Glaubens: die für uns unbegreifliche und unbeschreibliche erlösende Kraft unseres Herrn und Erlösers und Gottes Jesus Christus.
Gesegnet sind deshalb unsere Lippen, wenn wir das kostbare Holz des heiligen Kreuzes küssen; gesegnet ist unsere Stirn, unsere Brust und Schultern, die durch das siegreiche Zeichen unseres Glaubens geschützt werden!
Der heilige Apostel Andreas der Erstberufene hat, als ihn der Henker zum Tod durch Kreuzigung geführte und er von weitem das Zeichen des Kreuzes gesehen hat, vor Freude ausgerufen: „Freue Dich, Du Kreuz: geheiligt bist Du durch den Körper Christi und geschmückt wie mit Blumen von seinen Gliedern! Bevor auf Dir mein Gebieter gekreuzigt wurde, warst Du für andere ein Schrecken. Nun aber wissen die Gläubigen, wieviel Gnade in Dir steckt, wieviel Belohnung vorbereitet ist. Ohne Angst und freudig gehe ich zu Dir, aber nimm auch Du mich mit Freude an als Deinen Schüler des auf Dir Gekreuzigten Christus. Immer habe ich Dich geliebt und wollte Dich immer umarmen. O gepriesenes Kreuz, das Du die Herrlichkeit und Schönheit der Glieder des Herrn Christus auf dich nahmst, stets harre ich Deiner und suche nach Dir! Nimm mich von dieser irdischen Welt und übergib mich meinem Lehrer, möge durch Dich der Herr mich annehmen, dank dem ich durch dich vor dem Verderben entronnen bin!“
Auch bat der heilige Apostel Petrus seine Henker in Rom nur darum, dass sie ihn mit dem Kopf nach unten kreuzigen mögen, da er sich unwürdig fühlte, die Kreuzigung auf dieselbe Art wie Christus anzunehmen.
An diesen beiden Beispielen sehen wir, welch große Ehre die Heiligen Apostel dem Kreuze Christi beigemessen haben. Wie sollten wir Christen es nicht ebenfalls kniefällig und demütig verehren? Wie sollten wir einen so großen, kostbaren Schatz nicht voller Glauben wertschätzen. Das heilige Kreuz ist das Werkzeug unserer Errettung von der Macht des Satans und der Hölle. Das heilige Kreuz ist das Zeichen des neuen und ewigen Bundes mit Gott und das Heilmittel unserer Erlösung. Wie sollten wir Rechtgläubigen es nicht aus tiefstem Herzen preisen? Seit der Zeit, da unser Herr und Erlöser durch Sein heilbringenden Leiden das Kreuz erleuchtet hat, besingt die Heilige Kirche das heilige Kreuz mit den Worten: „Durch den Glanz Deines Kommens und durch Dein Kreuz hast Du, Christus, alle Enden der Welt erleuchtet und sie geheiligt, dadurch hat sich eine übernatürliche wundertätige Kraft gezeigt.“
Nicht von ungefähr kann unsere heilige orthodoxe Kirche in ihren Gesängen gar nicht genug der großartigen Worte zur Verherrlichung des Kreuzes Christi finden: „O heiliges Kreuz! Du Lob der Apostel, Stärkung der sanften Gläubigen, Lob der Hierarchen und Märtyrer, welches Du den Sieg und die Hilfe allen an Dich Glaubenden gibst. Das Kreuz ist Lobpreis und ewiges Licht für unsere Seelen und ist das Fundament des Glaubens, Vernichtung des Satans; ist die Herrlichkeit der Kirche, aber auch Verderben der Frevler und Schande für die Feinde am Tag des Gerichts.“
Wenn wir daran denken wollen, was der Erlöser für uns getan hat, dann gebietet uns die heilige Kirche, dass wir uns mit dem Zeichen des heiligen und lebensspendenden Kreuz bezeichnen. Der Brauch, dass es in der orthodoxen Kirche üblich ist, sich während des Gebetes mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes zu segnen, stammt aus urchristlicher Zeit. Er wurde von den heiligen Aposteln begründet, an alle Gläubigen weitergegeben und wird seit der Zeit strengstens befolgt, so dass ohne das Zeichen des heiligen Kreuzes kein Gebet, weder in der Kirche, noch im Kreis der orthodoxen Familien zu Hause beginnt. So wird der Beginn eines jeden orthodoxen Gebetes begleitet vom heiligen Kreuzzeichen und einer Verbeugung.
Das Segenszeichen mit dem Kreuz Christi verleiht nicht nur unserem Gebet große Kraft, sondern dank ihm gehen auch viele unserer guten Vorhaben und Taten in Erfüllung. Durch das Zeichen des heiligen Kreuzes vertreiben wir auch unsere sündhaften Gedanken, dämonischen Versuchungen wie auch unsere Verstrickungen in die Leidenschaften aus unseren Herzen. So ist der Segen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes für uns Christgläubige, die wir unseren Glaubenskampf in einer sündigen und von den Mächten des Bösen beherrschten Welt zu führen haben, gleichsam der zeichenhafte Anker, der uns fest mit unsere Herrn und Erretter Jesus Christus verbindet.
m Zeichen des heiligen Kreuzes ist einem jeden von uns eine große Kraft gegeben. Zur Bestätigung dieser Worte genügt es, einmal in die Schriften der Heiligen Väter hinein zu schauen, durch sich ein jeder von uns von der großen Kraft des Kreuzes Christi überzeugen kann. Ich möchte hier nur einige Beispiele aus der unendlichen Anzahl der Erwähnungen anführen: So hat der heilige Apostel Johannes der Theologe, wie sein Schüler Prochoros uns berichtet, seinerzeit durch das Zeichen des Kreuzes eine auf der Straße liegende Kranke geheilt. Und die selige Makrina, die Schwester des heiligen Basilios des Großen, welche schrecklich an einem Brustgeschwür litt, bat ihre Mutter, über der kranken Stelle ein Kreuzzeichen zu machen. Als sie das getan hatte, wurde die Kranke sofort wieder gesund.
Das wundertätige Kreuz Christi hat aber nicht nur körperliche Leiden geheilt, sondern auch Tote wieder zum Leben erweckt, ja es hat in bestimmten Fällen dem Körper sogar die Unversehrtheit verliehen. So segnete die heilige, apostelgleiche Märtyrerin Thekla den Holzstapel, der für ihre Verbrennung vorbereitet war. Hieraufhin vermochten die Flammen sie nicht zu verletzen. In ähnlicher Weise hat sich auch die heilige Märtyrerin Wassilissa von Nikomedia mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes bezeichnet. Die Heilige stand daraufhin viele Stunden lang inmitten der Flammen im glühenden Ofen, aber durch den göttlichen Beistand vermochte die verzehrende Glut ihr keinen Schaden zuzufügen.
Die allmächtige Kraft des heiligen Kreuzes Christi hat auch todbringendes Gift unschädlich gemacht, wie wir es in den Heiligenleben des heiligen Juvenalij und des seligen Benedikt von Nursia lesen können.
Aber das heilige Kreuz ist kein christlicher Fetisch oder ein Zaubermittel, sondern vielmehr ein im Zeichen vollzogenes Gebet zu unserem Herrn und Erlöser Jesus Christus. Und wenn es uns einmal nicht gelingen sollte, durch das heilige Kreuz größere oder kleine gute Taten zu vollbringen oder ein anderes frommes Ziel zu erreichen, dann geschieht dies nur deswegen, weil unser Herr Jesus Christus es in diesen Fällen nicht für richtig hält, uns ohne den notwendigen geistlichen Kampf und die damit verbundenen Mühen zum Sieg zu führen. Dies geschieht dann vor allem deshalb, damit wir nicht stolz und überheblich werden.
Deshalb sollten wir das Zeichen des heiligen Kreuzes immer als ein demütiges Gebet ausführen. Ein demütiges Gebet, erfüllt vom lebendigem Glauben an unseren gekreuzigten und auferstandenen Herrn und Erlöser Jesus Christus. Ein Gebet erfüllt mit wahrer Frömmigkeit und getragen vom demütigen Bewusstsein, dass wir den Herrn nicht durch unsere Verdienste für uns zu gewinnen vermögen, sondern nur durch unsere Hoffnung auf Sein menschenliebendes Erbarmen. Der heilige Johannes Chrysostomos sagt uns über das heilige Kreuzzeichen: „Wenn Du mit ganzem Glauben, aus ganzer Überzeugung des Herzens dich mit dem Kreuz bezeichnest, dann ist keiner von den unsauberen Geistern imstande, sich dir zu nähern, weil sie das Schwert sehen, welchem sich ihre Pfeile aussetzen, und sie sehen das Geschoss, das ihnen tödliche Verletzungen zufügt. Schäme Dich nicht, Du Christ, so großer Gnadenerweisung, dann wird sich auch Christus Deiner nicht schämen, wenn Er in Seiner Herrlichkeit kommen wird und sich das Zeichen (des Kreuzes) vor Ihm heller als Sonnenstrahlen zeigen wird.“
Gerade wenn wir das Segenszeichen des heiligen Kreuzes über uns zeichnen, müssen wir immer wieder sorgfältig darauf achten, dass unser Glaube an Christus sich nicht nur auf Vollzug der äußeren Formen beschränkt bleibt, sondern dass sich die äußere Form mit dem Glaubensinhalt zu einem einzigen Gebet verbindet. Es geht, wie der heilige Apostel Paulus uns sagt darum, dass wir Christus nicht nur mit unserem Körper, sondern zugleich auch mit unseren Herzen und Seelen loben. (vgl. 1. Korinther 6:19)
Deshalb wollen wir nun auch den geistlichen und inneren Symbolsinn des heiligen Kreuzzeichens betrachten: Wenn wir das Segenzeichen des heiligen Kreuzes ausführen, legen wir den Anfang des Kreuzzeichens auf unsere Stirn als dem Sitz unseres Verstandes. Dies soll uns daran erinnern, dass wir Gott mit unserem ganzen Verstand loben und Ihm unser ganzes Denken und Sinnen widmen wollen. Als nächstes legen wir, während wir uns bekreuzigen, das Kreuzzeichen auf unseren Bauch. Damit bezeichnen wir den Teil unseres Körpers, wo die Brust endet. In unserer Brust befindet sich unser Herz. Das Herz - und nicht das Gehirn - ist nach traditionellem orthodoxem Verständnis der Sitz aller seelisch-geistigen Kräfte des Menschen. Hier befindet sich nach der Lehre der heiligen hesychastischen Väter unser menschliches Personenzentrum. Indem wir diesem Bereich überkreuzigen, tun wir es zum Zeichen, dass wir Gott aus ganzem Herzen und der Tiefe unserer Seele lieben wollen. Seiner Verherrlichung allein wollen wir mit Eifer und Gottesfurcht alle unsere Gefühle und Wünsche widmen. Auch legen wir das Kreuz auf die Schultern (zunächst die rechte, dann auf die linke) als Zeichen dafür, dass wir Gott aus der ganzen Kraft unserer Seele und unseres Geistes lieben wollen. Dieser Begegnung mit dem lebendigen Gott gilt das ganze Streben unseres geistlichen Lebens. Indem wir nach der rechten Schulter auch die linke Schulter berühren drücken wir zeichenhaft aus, dass wir Gott nicht nur durch ein geistliches Leben des Gebetes, sondern auch durch die körperlichen Tätigkeiten der Nächstenliebe loben und preisen wollen.
Auch die Art und Weise, wie man die Finger während des Bekreuzigens faltet, hat einen tiefen, geistlichen Sinn. Orthodoxe Christen legen bekreuzigen sich nicht einfach mit geöffneter Handfläche, wie es die Christen im Abendland tun. Auch legen sie die Finger nicht einfach so zusammen, wie man möchte, sondern folgendermaßen: Die Enden von Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger schließt man zusammen, denn sie symbolisieren die Allheilige Dreieinheit: den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist. Die zwei weiteren Finger beugt man zur Handfläche hin. Sie symbolisieren die wahre göttliche und wahre menschliche Natur Christi. Dass die beiden Finger zur Handfläche hin gebeugt werden geschieht zum Zeichen dafür, dass der Sohn Gottes um unserer Erlösung willen die Himmel geneigt hat und auf die Erde herabgekommen ist.
Über das bereits gesagte hinausgehend erinnert uns orthodoxe Christen das Zeichen des heiligen Kreuzes auch daran, dass ein jeder von uns, wenn er an Christus glaubt und Ihm ernsthaft nachfolgen möchte, sein eigenes Kreuz tragen muss. Einem jeden Christenmenschen ist ein besonderer, nur für ihn bestimmter geistlicher Kampf in seinem Leben auferlegt, damit er daran reifen und zur Fülle des Lebens in Christo gelangen kann. Im christlichen Leben dreht es sich darum, dass wir unseren Egoismus, also unsere Ausrichtung auf die uns von Gott abtrennenden Leidenschaften Schritt für Schritt überwinden und dadurch zur Heiligkeit, das heißt einem Leben in vollkommener Gemeinschaft mit Gott gelangen. Jeder von uns hat auf diesem Glaubensweg sein ganz persönliches Kreuz zu tragen. Jeder von uns wird im Laufe seines Lebens mit den für ihn charakteristischen Unzulänglichkeiten und Schwierigkeiten konfrontiert und muss sich dann auch darum bemühen, seine körperlichen und geistigen Leidenschaften und sündhaften Wünsche Schritt für Schritt zu überwinden. Wir müssen alle Missgunst, Rachsucht und Feindschaft in unseren Herzen konsequent bekämpfen, damit sich unser Leben mehr und mehr auf das himmlische Königreich, das ist ein Leben in der Gegenwart Gottes, ausrichtet.
Christus, der sich für uns als Opfer am Kreuz hingegeben hat, hat auch uns aufgetragen, unser Kreuz auf uns zu nehmen und Ihm nachzufolgen. Wenn wir beständig auf Ihn schauen und um Seine allmächtige Hilfe bitten, wenn wir ununterbrochen in Seinen Fußstapfen gehen, werden wir schließlich die Pforten des Paradieses erreichen und die Krone des Lebens empfangen. Die Fußstapfen Christi finden wir auf dem Wege der Liebe zu Gott und unseren Mittmenschen. Die Fußstapfen Christi haben die Form der Aufopferung und Liebe zu unserem Nächsten, der Frömmigkeit, der Güte, der Milde, der Demut, der Zurückhaltung und der Ergebenheit gegenüber dem Willen Gottes.
Wenn wir in den vergangen Wochen der Fastenzeit auf die ein oder andere Weise den Blick für diese Fußspuren Christi verloren haben sollten, so will uns der Kreuzverehrungssonntag in der Mitte der heiligen Fastenzeit erneut ein geistlichen Kompass geben, damit wir am Ende mit den gereinigten Augen der Seele und des Geistes die lichte Auferstehung Christi zu schauen vermögen und eintreten können in die Osterfreude unseres auferstandenen Herrn!
Über das heilige Kreuzzeichen
Diakon Thomas Zmija
Der christliche Brauch, sich zu bekreuzigen, geht in frühchristlich-apostolische Zeit zurück. Erste erste schriftliche Erwähnungen finden wir bereits in den sogenannten Johannesakten und den Schriften des frühchristlichemn Apologeten Tertullian. Ebenso wie die meisten anderen unserer orthodoxen liturgischen Praktiken enthält das Sich-Bekreuzigen eine tiefe geistliche Symbolik und ist in seiner Form sogar ein sinnfälliger Ausdruck des christlichen Glaubensinhaltes selbst. Ich werde hier nun kurz die Geschichte und Entwicklung des Kreuzzeichens ab dem 2. Jahrhundert skizzieren.
In den Schriften des hl. Tertullian lesen wir: „Wir markieren unsere Stirn mit dem Zeichen des Kreuzes“ (Tertullian; De Corona Militis, 3. Kapitel). Wir haben bei
Tertullian aber nicht nur die reine Erwähnung dieser christlichen Praxis, sondern wir wissen durch seine Schriften ebenfalls, wie das hl Kreuzzeichen im 2. Jahrhundert gemacht worden war:
„Wir Christen zeichnen das Zeichen des Kreuzes auf unsere Stirn“ (Tertullian; ebenda). Diese Bemerkung deutet darauf hin, dass das Zeichen des hl. Kreuzes damals auf die Stirn gemacht worden ist.
Auch wiisen wir durch Tertullian, dass das Bezeichnen mit dem Kreuzzeichen von den hl. Aposteln angeordnet bzw. gutgeheißen worden ist. Insofern ist das hl. Kreuzzzeichen, genauso wie das Stehen
in Richtung Osten beim Gebet, Bestandteil der Heiligen Apostolischen Tradition der Kirche.
Bereits die ersten Christen zeichneten mit dem Zeigefinger oder Daumen der rechten Hand ein Kreuzzeichen auf ihre Stirn. Dies weist uns bereits darauf hin, dass die Art sich zu Bekreuzigen zu keiner Zeit einfach beliebig gewesen ist, sondern zu jeder Zeit jeweils bestimmten gemeinsamen Regeln folgte. Das Sich-Bekreuzigen war immer zugleich Schutz- und Segenszeichen und ein "sichtbares Glaubensbekenntnis im Vollzug“. Das Kreuzzeichen mit dem Zeigefinger oder dem Daumen auf die Stirn zu zeichnen bedeutete, die Einheit Gottes in der Allheiligen Dreiheit zu bekennen. Damit traten die frühen Christen in apostolischer Zeit dem damaligen Vorwurf der sie anfeindenden Juden entgegen, dass sie in ihrer Gottesverehrung polythesitischer Vielgötterei wie die Heiden folgen würden.
Bereits in Pompeii gibt es einen archäologischen Hinweis, dass das hl. Kreuzzeichen als Schutz- und Segenszeichen die Privat- und Versammlungsräume der frühen Christen als Schutz- und Segenszeichen schmückte. So findet sich an einer Wand in Pompeij, die offensichtlich zu einem Haus von Christen gehörte, der Rußabdruck eines verbrannten Holzkreuzes noch mit den dazugehörenden Nagellöchern zu seiner Befestigung. Ebenso zeigen uns andere archäologische Funde, dass das Zeichen des hl. Kreuzes (iSegenssymbol) auf Gebrauchsgegenständen wie Öllampen und Trinkgefäßen, aber auch bereits auf christlichen Siegelringen angebracht wurde. Einen weiteren Hinweis auf diesen frühchristlichen Brauch bietet uns ebenfalls die Vita der heiligen Großmärtyrerin Barbara (3. Jahrhundert): „[Barbara] sagte: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und zeichnete dabei auf wundersame Weise mit ihrem Finger (Singular, ein Finger) das Kreuzzeichen in die Marmorwand des Badehauses.“( Migne, Patrologia Graeca, Band 116, Sp. 301–316). Der hl. Epiphanios von Salamis bestätigt ebenfalls in seinen Schriften, das Kreuzzeichen schon am Anfang der Kirchengeschichte mit nur einem Finger gemacht wurde.
Dieses "Ein-Finger-Kreuzzeichen" wurde dann bis ins 5. Jahrhundert von allen Christen praktiziert. Damals tauchte die Häresie des Monophysitismus auf und begann die Gläubigen in der Kirche zu beunruhigen. Die Monophysiten bekannten nach der Inkarnation in Christus fälschlicherweise nur eine gottmenschliche Natur (mia physis).
Um die beiden Naturen Christi, die vollkommene menschliche und die vollkommene göttliche Natur, im hl. Kreuzzeichen als einem „Glaubensbekenntnis im Vollzug“ rechtgläubig ausdrücken zu können, begannen die orthodoxen Christen mehr als ein Finger für das Kreuzzeichen zu verwenden. Bis heute bekreuzigen sich die äthiopischen Christen, deren altorientalische Kirche die miaphysitische Christologie vertritt, nur mit einem Finger (Zeigefinger). Die Form des Sich- Bekreuzigens wird von der äthiopischen Kirche miaphysitisch interprätierten. Sich mit zwei Fingern zu bekreuzigen ist also höchstwahrscheinlich eine Reaktion der orthodoxen Gläubigen auf die Häresie des Monophysitismus zu verstehen, denn die zwei Finger symbolisierten die beiden Naturen Christi. So bemerkt der hl. Cyrill von Jerusalem in seiner Taufkatechesen (13:36), dass das Zeichen des hl. Kreuzes mit „Fingern“ (im Plural) gemacht werden sollte.
Theodoret von Kyrrhos, dessen Schriften wegen seiner Oppposition den hl. Cyrill von Alexandrien auf dem Zweiten Konzil von Konstantinopel im Jahre 553 verurteilt worden sind, ist aber trotzdem eine zuverlässliche Gewährsquelle für die Art und Weise, wie die orthodoxen Christen sich zu dieser Zeit bekreuzigt haben: „So segnet man mit der Hand und bekreuzigt sich: Drei Finger gleichmäßig zusammenhalten, Daumen und die letzten beiden Finger bekennen ein Rätsel in der Bild der Dreifaltigkeit (…) Wenn Du zwei Finger miteinander verbindest - den Zeigefinger und den Mittelfinger - und mit leicht gebeugtem Mittelfinger ausstreckest, stehen sie für die beiden Naturen Christi: Seine Göttlichkeit und Seine Menschlichkeit.“
Diese Praxis des Kreuzzeichens setzte sich für viele Jahrhunderte in der gesamten orthodoxen Christenheit durch, während nur die Nestorianer (Apostolische Kirche des Ostens) und die altorientalischen Äthiopier beim Brauch des "Ein-Finger-Kreuzes" blieben.
Der hl. Peter von Damaskus, einer der asketischen Väter des 8. Jahrhunderts, spricht in seinen Schriften, die heute Bestandteil der Philokalia sind, über das hl. Kreuzzeichen: „Die Heiligen Väter haben uns die Bedeutung dieses heiligen (Kreuz-)Zeichens überliefert, um Häretiker und Ungläubige zu widerlegen. Die beiden Finger und die eine Hand repräsentieren den gekreuzigten Herrn Jesus Christus, von dem wir bekennen, dass Er zwei Naturen in einer Person hat“ (Philokalia (griechische Ausgabe) Seite. 642).
Sowohl der hl. Cyrill von Jerusalem, als auch der hl. Peter von Damaskus, aber auch Theodoret von Kyrrhos, gehören in ihrer kirchlichen Prägung in das Umfeld des Patriarchates von Antiochien.So verbreitete verbreitete sich mit der kirchlichen und theologischen Strahlkraft dieses Patriarchates im ganzen Orient die antiochenische Tradition des sich Bekreuzigens. Über Kappadokien und Kleinasien gelangte sie auch nach Konstantinopel. So ist es auch keine große Überraschung, dass mit der Taufe und Christianisierung der Rus im 10. Jahrhundert diese Praxis des „Zwei-Finger-Kreuzes“ dann auch in der russischen Kirche (Metropolie von Kiew und die übrigen Eparchien in der Rus) übernommen worden ist.
Ab dem 9. Jahrhundert finden wir dann den Brauch des "Drei-Finger-Kreuzzeichen", wie es bis heute von den orthodoxen Christen praktiziert wird. Offensichtlich hat diese Entwicklung ebenfalls etwas mit der Abwehr einer Häresie zu tun. Im frühen 7. Jahrhundert war der Islam als letzte der monotheistischen Religionen auf der arabischen Halbinsel durch den Mekkaner Mohammed gestiftet worden. Da der Kaufmann Mohammed in jungen Jahren während seiner ausgedehnten Handelsreisen viele Kontakte zu nestorianischen, aber auch miaphysitischen Christen hatte, gibt es in den muslimischen Glaubensvorstellungen heute Ähnlichkeiten zu christlichen Vorstellungen, auch wenn die koranischen Berichte oft vom ihrem biblischen Vorbild abweichen.
Als sich der Islam dann sehr schnell im gesamten Nahen Osten militärisch durchsetzte und große Gebiete in rascher Folge eroberte, ergab es sich damit auch, dass von dieser Zeit an viele orthodoxe und altorientalische Christen in enger Nachbarschaft zu Muslimen lebten. So verwundert es auch nicht, dass die Anhänger beider Religionen bereits sehr früh sowohl im Dialog, als auch in der Kontroverse aufeinander trafen. Dies hatte wiederum erneute Auswirkungen für die Art, sich zu bekreuzigen als einem „orthodoxen Glaubensbekenntnis im Vollzug“. In der Auseinandersetzung und Abwehr ging es jetzt um die Ausdrucksmöglichkeit des orthodoxen Bekenntnisses zum Einen Gott in drei Göttlichen Personen (Allheilige Dreiheit) und um das rechtgläubige Bekenntnis zu Christus als wahren und vollkommenen Gott und Menschen. Beide Glaubenswahrheiten bestreitet die islamische Religion.
Zwischen dem 9. und 10. Jahrhundert setzte sich die heute in der gesamten Orthodoxie heute übliche Praxis für das Kreuzzeichen allgemein durch: Orthodoxe Christen legen beim Bekreuzigen Daumen, Zeige- und Mittelfinger zusammen und lassen sie ausgestreckt. Der Ringfinger und kleiner Finger berühren gekrümmt jedoch die Innenseite der Handfläche. Die drei ausgestreckten Finger symbolisieren die Allheilige Dreieinheit, die zwei gekrümmten Finger die zwei Naturen Christi. Mit den Drei zusammengelegten Fingern Zeigefinger, Mittelfinger und Daumen bekennen wir uns zur Allheiligen Dreieinheit, Ein Wahrer Gott in drei Göttlichen Personen (Hyostasen) – Vater, Sohn und Heiliger Geist. Mit dem Ringfinger und den Kleinen Finger, die wir an die Handfläche legen, bekennen wir uns zu unserem Herrn und Erlöser Jesus Christus, der wahrer und vollkommener Gott und Mensch ist. Das hl. Kreuzzeichen wird von der Stirn über die Brust zu den Schultern gezeichnet, wobei zunächst die rechte und dann die linke Schulter berührt werden . Das Kreuzzeichen hat für uns orthodoxe Christen große Bedeutung,denn wir bekennen damit im Zeichen die wichtigsten Dogmen unserer orthodoxen Gotteslehre.
Die orthodoxe Form des Kreuzzeichens finden wir ebenfalls in den Schriften von Papst Leo IV. dem Erzbischof von Alt Rom (+855) beschrieben: „Das Zeichen des hl. Kreuzes wird mit drei Fingern gemacht, weil wir dabei die Allheilige Dreieinheit anrufen: den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist“ (Liturgie. Rom. Pont.”, III, 37). Auch nach dem Jahre 1054 bekreuzigten sich die abendländischen Christen auf orthodoxe Weise. Erst im Jahre 1569 schaffte eine päpstliches Breve (Verfügung) die Verpflichtung zur orthodoxen Form des Sich-Bekreuzigens ab und erklärte zugleich das heutige lateinische Kreuzzeichen mit geöffneter Handfläche und den ausgestreckten Fingern zum geistlichen Sinnbild für die fünf Wunden Christi am Kreuz.
Nach dem Mongolensturm zerfiel die Metropolie von Kiew für mehrere Jahrhunderte in zwei Teile. Im Jahre 1240 wurde Kiew von der Goldenen Horde erobert, zerstört und geplündert. Im Jahre 1299 übersiedelte dann der Metropolit aus Kiew nach Wladimir. 1325 wurde der Sitz des Kiewer Metropoliten von Wladimir nach Moskau verlegt. Im Jahre 1321 waren Kiew und die westlichen Territorien der Rus an das Großfürstentum Litauen gefallen. Infolge dessen gab es seit 1331 einen eigenen Metropoliten für die orthodoxen Gebiete im Großfürstentum Litauen, der jedoch nicht mehr in Kiew, sondern in Wilna residierte. So folgten die heutigen ukrainischen Gebiete der Kiewer Rus, aber auch die orthodoxen Christen auf dem Balkan und im Nahen Osten der griechischen Form, das Kreuzzeichen zu schlagen, während die Russen die ältere Praxis des „Zwei-Finger-Kreuzes“ bis zu den liturgischen Reformen unter Patriarch Nikon beibehielten. Noch die Hundert-Kapitel-Synode hat diese Praxis im damaligen russischen Typikon ausdrücklich bekräftigt.
Wie bereits dargelegt, hat sich die Form und damit die Symbolik, wie das hl. Kreuzzeichen zu schlagen ist, im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert. Je nach dem kirchlichen Kontext waren die Regeln hierfür unterschiedlich ausgeprägt. Sowohl das Zwei-Finger-Kreuz, wie auch das Drei-Finger-Kreuz sind in ihrer Aussagefunktion als „orthodoxes Glaubens- bekenntnis im Vollzug“ vollkommen identisch.
Aber im Moskauer Russland, dass sich im 16. Jahrhundert als den letzten verbliebenen Hort der wahren Orthodoxie betrachtete, waren die eigenen rituellen Besonderheiten nicht nur ein legitimer Ausdruck des orthodoxen Glaubens, sondern das Moskauer Ritual dieser Zeit wurde dort als unverzichtbaren Bestandteil des orthodoxen Glaubens aufgefasst. Das Ritual in der Moskauer Ausformung war in den Augen vieler Russen des 16. Jahrhunderts "heilsnotwendig", wie es z. B. die Lebensbeschreibung der Protopopen Avakuum mehr als deutlich an vielen Stellen zum Ausdruck bringt. Für die Altgläubigen wurde die Art, sich zu bekreuzigen, zum wichtigsten Merkmal der Rechtgläubigenkeit an sich. Die Altgläubigen (russisch староверы, auch Altritualisten = старообря́дцы oder Altorthodoxe = древлеправосла́вные) waren am Ende jene russischen Christen, die sich entschieden gegen die Reformen unter Patriarchen Nikon wandten. Dieser Moskauer Patriarch hatte ab 1652 die altslawischen Texte der Moskauer Gottesdienstbücher an den damaligen griechischen Textenrevidieren lassen. Ebenfalls mussten sich die liturgischen Riten und Gebräuche am damaligen griechischen Brauch ausrichten. Die Reformen - darunter für die betroffenen Gläubigen wohl am eindrücklichsten - die Art das Kreuzzeichen beim Gebet zu schlagen, zielten darauf ab, die russische Kirche wieder den als vorbildhaft empfundenen griechischen Gepflogenheiten anzupassen. Die Trennung zwischen der orthodoxen Kirche und den verschiedenen Gruppen der Altgläubigen war nach einer Synode in Moskau im Jahre 1667 abgeschlossen. Heute haben in der Russischen Orthodoxen Kirche die alten russischen Riten und Gebräuche wieder einen geachteten Platz als gleichwertiger Ausdruck des gemeinsamen orthodoxen Glaubens. Das gilt besonders für die Art, wie altorthodoxe russische Christen die Gottesdienst feiern, beten und sich dabei bekreuzigen.
Seit apostolischer Zeit gehört das Sich-Bekreuzigen zur Glaubenspraxis der orthodoxen, altorientalischen und katholischen Christen unverzichtbar dazu. Auch der Gründer der lutherischen Glaubensgemeinschaft, der protestantische Theologe Martin Luther, wusste noch um die Segenskraft des Sich-Bekreuzigens. In seinem Kleinen Katechismus schrieb er über den Morgensegen: „Des Morgens, so du aus dem Bette fährst, sollst du dich segnen mit dem Zeichen des Heiligen Kreuzes und sollst sagen: 'Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Amen'". Für den Abendsegen schlug er ebenfalls das Kreuzzeichen vor. Entgegen der Empfehlung des Reformators setzte sich das Kreuzzeichen bei den protestantischen Gläubigen jedoch mehrheitlich nicht durch. In der lutherisch geprägten Glaubensgemeinschaft ist es seit der Aufklärungszeit im 18. Jahrhundert und in den reformierten Glaubensgemeinschaften bereits seit ihrer Wende zum bild- und symbolllosen reformierten Kultus während des 16. Jahrhunderts verschwunden. Auch wenn protestantisch geprägte Christen sich mit der Vorstellung, dass Glaube nicht nur ein innerer intellektuell-seelischer Prozess, sondern vor allem Leben und Vollzug des Glaubens ist, schwertun, sollte man sie doch klar daraufhinweisen, daß das Kreuzzeichen seit der Zeit der hl. Apostel in der Kirche als Zugehörigkeitszeichen zu Christus seinen unverzichtbaren Platz hat. Schon in der Antike war es üblich, Personen und Gegenständen die Besitzmarke ihres Herrn an gut sichtbarer Stelle einzuprägen. Auch in den Heiligen Schriften findet sich dieser geistliche Gedanke ausgedrückt. Im Buch der Apokalypse, dem letzten Buch im Neuen Testament, ist zu lesen, dass die erlösten Christen bei der Wiederkunft des Herrn ein Zeichen ihres Glaubens an Jesus Christus an sich haben werden: „Auf ihrer Stirn trugen sie Seinen Namen und den Namen des Vaters geschrieben" (Offb 14: 1).
Gerade für orthodoxe und altorientalische Christen ist das hl. Kreuzzeichen bis heute ein das gesamte Leben des Christen begleitendes Heils- und Segenszeichen geblieben. Wir bekreuzigen uns oftmals: vor der Kirche, den hl. Ikonen und Reliquien; wenn wir ein orthodoxes Heim betreten vor den Hausikonen der Familie, bei wichtigen Entscheidungen und vor einer schwierigen Aufgabe.
Der selige Augustinus von Hippo Regis sieht im Kreuzzeichen ein geistliche Symbol, das Christgläubigen mit der Passion des Herrn verbindet. Und der hl. Johannes Chrysostomos sagte in einer seiner Predigten: "Wir wollen vielmehr das Kreuz Christi wie eine Krone tragen. Denn durch das Kreuz wird ja unser ganzes Heil vollbracht. So oft jemand wiedergeboren wird, ist das Kreuz dabei; so oft er genährt wird mit jener geheimnisvollen Speise, so oft jemand geweiht wird, so oft irgendeine andere Handlung vorgenommen wird, überall steht dieses Zeichen des Sieges uns zur Seite. Deshalb zeichnen wir es voller Eifer auf die Häuser, Wände und Fenster, auf die Stirn und auf das Herz. Ist es doch das Sinnbild unserer Erlösung, unserer gemeinsamen Befreiung, sowie der Güte unseres Herrn. So oft du dich also mit dem Kreuz bezeichnest, beherzige alles, was im Kreuz liegt, dämpfe den Zorn und alle übrigen Leidenschaften. Wenn du dich bekreuzigst, erfülle deine Stirn mit großer Zuversicht, mache deine Seele frei. Man darf das Kreuz aber nicht einfach nur mit dem Finger machen, sondern zuerst mit dem Herzen, voll innigen Glaubens ...".