Große und Heilige Woche - Teil 2

Siehe, der Bräutigam kommt inmitten der Nacht – Betrachtung über die ersten drei Tage der Großen und Heiligen Woche

 

Diakon Thomas Zmija

 

Am Abend des Palm-Sonntags brechen wir mit dem Morgengottesdienst des Großen und Heiligen Montags zur liturgischen Reise durch die Tage der Großen und Heiligen Woche, im Westen Karwoche genannt auf.

 

Am Gründonnerstag beginnt dann mit der liturgischen Feier der Einsetzung der Göttlichen Liturgie durch Christus bei der Feier des letzten Abendmahles der Zyklus der eigentlichen Passionsgottesdienste. Was aber hat es mit den ersten drei Tagen der Karwoche auf sich? Diese werden Heiliger oder Großer Montag, Dienstag und Mittwoch genannt, weil uns die heilige orthodoxe Kirche an diesen Tagen etwas über unseren Weg zum Heil und über Gott Plan für das Schicksal der Welt lehren will. Deshalb sind sie im kirchlichen Jahreskreis der orthodoxen Kirche, vielleicht zwar etwas weniger beachtet, aber nicht desto trotz von eigenständiger geistlicher Bedeutung.

 

In der liturgischen Struktur der Gottesdienste an diesen drei Tagen und in ihrer spirituellen Gestimmtheit bewegen wir uns noch immer in der Großen Fastenzeit: Es werden die besonderen Fasten-Melodien gesungen und während dieser Tage sprechen wir noch immer das Bußgebet des Heiligen Ephraim des Syrers, das Gebet, das uns den geistlichen Weg durch die großen Fastenzeit beschreibt:

 

Herr und Gebieter meines Lebens, den Geist der Trägheit, des Kleinmuts, der Herrschsucht und der Geschwätzigkeit (= der unbedachten Worte) gib mir nicht.

 

Schenke mir hingegen, Deinem Diener, den Geist der Weisheit, der Demut, der Geduld und der Liebe.

 

Ja mein Herr und mein König, lass mich meine eigenen Fehler erkennen und nicht meine Brüder und Schwestern verurteilen, denn Du bist gesegnet in alle Ewigkeit. Amen.

 

Insofern erscheinen uns diese Tage, zunächst einmal wie eine bloße Fortführung der Großen Fastenzeit; wie eine Überbrückung zu den Tagen der Feier der Passion und Auferstehung des Herrn hin. Aber diese Tage bilden einen selbstständigen liturgischen Zyklus in dessen Mittelpunkt die Verkündigung der Wiederkunft Christi steht.

 

 

Nun gehört das Anbrechen des Eschaton, das Ende der Welt und die damit verbundene Wiederkunft Christi, zu den besonders schwierig zu verstehenden christlichen Thematiken. Wir alle sprechen zwar täglich darüber, wenn wir in unseren Gebeten das "Glaubensbekenntnis" sprechen, doch verstehen wir die christlich-orthodoxe Bedeutung dessen, was damit im Einzelnen gemeint ist, oft nicht richtig.

 

Das Christentum ist ein Glaube, der weder die Ewigkeit dieser Welt noch einen ewigen Kreislauf alles Existierenden verkündet, wie es zum Beispiel die fernöstlichen Religionen Hinduismus und Buddhismus tun. Die Heiligen Schriften weist uns mehr als deutlich darauf hin: Als Christen glauben wir nicht nur an die Endlichkeit unseres eigenen irdischen Lebens, sondern wir verkünden sogar das Ende der ganzen Welt! Insofern ist das Christentum eine Religion des Endes; aber nicht des Endes als einer unwiederbringlichen Katastrophe. Über den genauen Zeitpunkt der Wiederkehr Christi wissen wir nichts. Entgegen den Praktiken vieler protestantischer Sekten betrachten wir orthodoxe Christen das Buch der Apokalypse (die Offenbarung des Johannes) nicht als Gottes Ankündigung Seiner Rache und Seines Vernichtungswillens, sondern vielmehr als eine liturgische Prophetie, als ein Blick in die himmlische Liturgie der Engel und Heiligen und als ein Trostbuch für Christen in Bedrängnis: Das Böse wird in dieser Welt nicht das letzte, alles bestimmende Wort haben!

 

So betrachten wir orthodoxe Christen das Ende der Welt als eine unumstößliche Tatsache, die wir aber nicht zeitlich zu bestimmen suchen, sondern vielmehr qualitativ: Christus wird am Ende der Zeiten wiederkommen um das Heil, die Erlösung der gesamten Schöpfung, sichtbar zu vollenden. Was mit der Menschwerdung des Gottessohnes begann und in Christi Kreuzestod und Auferstehung sich vollzogen hat, unser Heil, wird im Eschaton Gottes seine sichtbare Vollendung und Enthüllung finden. Das Leben jeden Christen ist seit seiner Taufe ein Leben in der Erwartung unserer Vollendung in Christus. Einer bereits begonnenen Vollendung, die dann im verwirklichten Reich Gottes ihre Erfüllung und Offenbarung finden wird.

 

Die Rede vom Weltende ist für den nach Selbstbestimmung und Autonomie strebenden Menschen der Postmoderne ein totales Skandalon, dem heftig widersprochen wird. Obwohl viele Menschen sich heutzutage als vollkommen zur Selbstbestimmtheit und Selbstverwirklichung berufene Individuen verstehen, verkündet die orthodoxe Kirche davon unbeirrt, dass der Mensch zur Gemeinschaft mit Gott und seinem Nächsten erschaffen wurde und dass der in die Sünden gefallene Mensch von Christus erlöst worden ist.

 

Obwohl viele Menschen ihre leibliche Sterblichkeit beklagen und ihre Hoffnung auf immer weiter reichende, lebensverlängernde Maßnahmen der modernen Medizin oder der Technik setzten, verkündet die orthodoxe Kirche unbeirrt den Tod des Todes in der lichten Auferstehung Christi.

 

Deshalb ist der Karfreitag für uns orthodoxe Christen, auch keinen verzweifelter Trauertag. Wir blicken auf unseren eigenen leiblichen Tod durch die Optik unseres orthodoxen Auferstehungsglaubens. Ostern ist Pas´cha, der von Christus, unserem Herrn und Erlöser und Gott für uns vollzogene Übergang vom Tode zum ewigen Leben. Seit unserer heiligen Taufe haben wir Anteil an Christi Sieg über den Tod und leben unser irdisches Leben als eine gläubige Erwartung auf das Kommen Seines „Reiches, das kein Ende haben wird“. Deshalb beten wir täglich im Gebet, das Christus Selbst uns gelehrt hat: „…Dein Reich komme…“.

 

 

Das irdische Leben und der darin eingeschlossene Tod ist für den orthodoxen Christen nicht eine unabwendbare Tragödie, sondern ein Übergang von der Erfahrung in und durch den Glauben während dieses irdischen Lebens  zur beglückenden Schau in der ewigen und alles überstrahlenden Gegenwart Gottes. In dem Maße, in dem wir bereit schon hier in unserem irdischen Leben aus der Liebes- und Glaubensgemeinschaft mit Gott leben, indem Maße wird uns dieses ewige Gemeinschaft mit Gott nach dem Abschluss unseres irdischen Lebens zuteil werden.

 

Deshalb dürfen wir auch das kommende Gericht Gottes nicht als einen Rachefeldzug des Schöpfers gegen seine menschlichen Geschöpfe missverstehen. Gott Antlitz ist uns zugewandt. Er ist der himmlische Vater, der den Sohn zu uns gesandt hat aus rettender Liebe. Nur wer in seinem irdischen Leben diese Liebe Gottes konsequent und vollständig abgelehnt und verleugnet, der wird in der Ewigkeit verloren gehen. Und zwar nicht, weil Gott ihn oder sie verdammt hat, sondern weil er oder sie sich frei und willentlich von der Liebe und der Gemeinschaft mit Gott abgetrennt haben. Wenn wir das Jüngste Gericht fürchten müssten, dann nur deshalb, weil dort unsere hartherzige Zurückweisung der rettenden Liebe Gottes als ein bewusstes Verharren in den Sünden und Leidenschaften offenbar werden kann. Deshalb betrachtet die orthodoxe Kirche die Erlösung auch als einen andauernden Prozess des Werdens und Reifens, als einen Prozess der freiwilligen Öffnung zur Gnade Gottes hin, die ihren antwortenden Ausdruck in den guten und frommen Werken des Christenmenschen findet.

 

Als gläubige orthodoxe Christen leben wir in der Kirche in dieser geheimnisvollen Zeit zwischen Schöpfung und dem Weltende. Der gemeinsame Hymnus dieser drei Tage lautet deshalb:

 

Siehe, der Bräutigam kommt mitten in der Nacht, selig der Knecht, den Er wachend findet, doch unwürdig ist er, den er schlafend antrifft. Siehe also zu, meine Seele, dass du nicht vom Schlafe befallen wirst, damit Du nicht dem Tode übergeben und vom Reiche ausgeschlossen wirst, sondern sei nüchtern und rufe: Heilig, heilig, heilig bist Du, o Gott, durch die Fürbitten der Gottesgebärerin, erbarme Dich unser!

 

Dieser in den Gottesdiensten dieser ersten drei Tage der Karwoche immer wiederkehrende Hymnus fasst ihr Hauptthema für uns zusammen. Für uns ist jetzt noch „mitten in der Nacht“. Wir leben noch vor der Wiederkunft Christi. Noch gibt es Zeit zur Umkehr und zur Reue und zur Zuwendung zum Heil. Haben wir es in den Tagen der vorangegangenen Großen Fastenzeit noch nicht getan, so ist jetzt noch immer Zeit dazu. Der heilige Johannes Chrysostomus erwähnt in seiner Osterpredigt ausdrücklich den Arbeiter der elften Stunde. Die meint: Für uns ist jetzt immer noch  nicht zu spät, Christus in unser Herz und Leben einzuladen. Noch immer leben wir in einer Zeit der Gnade und der Möglichkeit zur freiwilligen Annahme des Heiles.

 

"Mitten-in-der-Nacht" bedeutet also für uns, dass auch zu Beginn der Karwoche für einen jeden von uns immer noch Christi stille Einladung zum Mitvollzug der heiligen Fasten besteht. Auch als Verspätete - als Arbeiter der elften Stunde - ruft uns die liebende Stimme des Herrn zum freiwilligen Eintritt in Seine Nachfolge.

 

Wie viele Vollzüge des Glaubens vollzieht unsere orthodoxe Kirche auch dieses "Mitten-in-der-Nacht-sein" im liturgischen Symbol, in der Ikone des orthodoxen Gottesdienstes. Aus diesem Grunde feiern wir den Morgengottesdienst bereits am Abend. In der alten Kirche wurde eine Vigil, ein ganznächtlicher Gottesdienst, gehalten. Die Christen blieben damals die ganze Nacht wach um das „O siehe, der Bräutigam kommt mitten in der Nacht...“ ganz bewusst erleben zu können.

 

Wir wissen nicht, wann Christus wiederkommen wird. Aber Er wird „um Mitternacht“ kommen; wenn das Leben dieser irdischen Welt und ihre Verhaftung an die Herrschaft des Bösen zu einem Endpunkt gekommen sein wird. Das ganze liturgische Leben der Kirche ist genau dieses „Warten“ auf das Kommen Christi. Dieses Warten auf den wiederkommenden Herrn, nicht eine schöne Ethik oder eine ansprechende religiöse Philosophie, ist die alles verändernde Dimension des christlichen Glaubens.

 

Nicht mehr Reichtum, körperliche Schönheit, irisches Wissen, beruflicher Erfolg oder politische Macht sind die bestimmenden Werte, sondern die Qualität und Konsequenz unseres Seins, unseres Lebens in Christo. Den orthodoxen Weg zu solch einem Leben in der lebendigen Beziehung zu Christus hat uns der heilige Nikolaos Kabasilas in seinem Buch „Das Leben in Christo“ ganz deutlich vor Augen gehalten.

 

Unser Leben als Christen ist ein "Sein im Warten" und "Hören auf den Herrn"; eine lebendige Erwartung und eine fortwährende, gläubig-geistliche Wachsamkeit. Hier hilft uns unsere orthodoxe Kirche, indem sie vier Fastenzeiten als Trainingscamps für eine solche Lebenshaltung für uns eingerichtet hat. Denken wir dabei auch an die Worte des Heiligen Andreas von Kreta, die während der Großen Fastenzeit für uns gelesen werden:

 

Meine Seele, meine Seele, stehe auf, warum schläfst du? Das Ende ist nahe und du wirst betrübt werden. Erwache daher, auf dass deiner schone Christus, Gott, der Allgegenwärtige und Alleserfüllende.

 

Diese Mahnung ist aber keine furchteinflößende Drohgebärde der Kirche, sondern sie ist vielmehr eine freudliche Einladung zu einer geistlich bestimmten Lebenshaltung: „Ich schlafe, aber meine Seele wacht“. Diese Sicht ist wichtig für das rechte Verständnis der langen Gottesdienste in unserer orthodoxen Kirche. Unser fortwährendes Gebet ist gleichsam ein Einstimmen unserer christlichen Existenz in die letzten Worte der Apokalypse des heiligen Johannes: Maranatha - Komm, Herr Jesus!“

 

Heiliger und Großer Donnertag

 

Der Heilige und Große Donnerstag ist reich an festlichen Themen, denn er gedenkt gleich vier Geschehnissen, die sich ursprünglich alle am Abend dieses Tages ereigneten:

 

1. Die Fußwaschung, d.h. der Herr wusch Seiner Jünger die Füße.

 

2. Das Letzte Abendmahl, d.h. die Einsetzung des Mysterions der Göttlichen Liturgie (Eucharistie) durch den Herrn Selbst.

 

3. Das Gebet auf dem Ölberg, das der Herr in Todesangst vor Seiner Gefangennahme in Gethsemane betete.

 

4. Der Verrat des Judas.

 

Am Großen Donnerstag, im Westen "Gründonnerstag" genannt, gedenkt die orthodoxe Kirche des Letzten Abendmahles. Dieses ist zugleich die erste Feier der Göttlichen Liturgie, die der Herr Selbst mit Seinen Jüngern vollzogen hat. Mit den Worten:"Tut dies zu meinem Gedächtnis" hat der Herr Selbst das hochheilige Mysterion der Eucharistie eingesetzt.

 

 

 

Am Donnerstag innerhalb der Karwoche begeht die Orthodoxe Kirche den Großen und Heiligen Donnerstag – auch „Donnerstag der Mysterien“ oder bei den westlichen Christen „Gründonnerstag“ genannt. So gedenken wir an diesem Tag  des letzten Abendmahls Jesu Christi mit Seinen Jüngern.

Mit diesem letzten Abendmahl, das Jesus Christus mit Seinen Aposteln und Jünger gefeiert hat, beginnt die Feier der Göttlichen Liturgie hier auf Erden. Sie ist das liturgische Urbild und der geistliche Samen jeder Liturgiefeier in der heiligen Kirche.

 

 

Bereits am Vorabend wird im Morgengottesdienst des Großen und Heiligen Donnerstags in den Kathedralen der Ritus der Fußwaschung vollzogen. CHRISTUS selbst hat Seinen Jüngern die Füße gewaschen - Er der über allen steht hat sich als Diener Seiner eigenen Jüngerschar erwiesen in dem ER ihnen die Füße wusch. CHRISTUS hat uns damit ein Beispiel der christlichen Demut und Selbstverleugnung gegeben.

 

 

Von den Patriarchen wird in den autokephalen Kirchen an diesem Tag (nicht jedes jahr, sondern von Zeit zu Zeit) der Gottesdienst der Weihe des Heiligen Myron gefeiert. Dieses hl. Salböl (Chrisam-Öl) wird bei der Spendung des Mysterion der hl. Myronsalbung gebraucht.

 

Tropar im 6. Ton: Als Teilnehmer am Abendmahl Deines Mysteriums, Sohn Gottes, nimm mich heute auf. Deinen Feinden will ich das Mysterium nicht verraten, noch Dir einen Kuss geben wie Judas. Sondern wie der Schächer will ich bekennen: „Gedenke meiner, Herr, in Deinem Reich!“